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Kultur: Dosenprosecco

An der Schaubühne tanzt Constanza Macras’ Dorky-Park-Ensemble durchs Wohlstandsghetto

Von Sandra Luzina

Als ein „Ort der Unschuld“ wird die Wohnanlage namens „Brickland“ in einem grellen Werbevideo angepriesen. Eine blonde Fee, die durch das umzäunte Paradies tänzelt, verkörpert geradezu exemplarisch Wohlstand und Wohlanständigkeit. Doch wir befinden uns in der Berliner Schaubühne, in der neuen Tanztheater-Produktion von Constanza Macras, und hier setzt man sich beherzt gegen den Idyllenterror zur Wehr. Also gipfelt das soziale Miteinander in „Brickland“ bald in einer verzweifelt-komischen Massenmasturbationsszene.

Doch nicht allein von sexuellen Krisen werden die Protagonisten hier heimgesucht. Am Ende des Abends gibt es wohl keine Menschheitskrise, die nicht mal aufs Tapet gebracht wurde. Gated Communities – das Thema steht derzeit ganz oben auf der Agenda der Schaubühnen-Künstler. Falk Richter stellte in seinem Kammerspiel „Im Ausnahmezustand“ bereits die Frage: Wohnst du noch oder wachst du schon? Die argentinische Choreografin Constanza Macras geht das Thema innere (Un-)Sicherheit viel handgreiflicher an. Zu Pseudo-Punk und verpoppten Schubert-Liedern liefern die Darsteller des multinationalen Dorky- Park-Ensembles sich wie zu erwarten wieder rabiate Crashtests auf der Bühne.

Ein Ursprungsmythos stimmt die Zuschauer auf die kommenden Kollisionen ein: Die Seelen von Außerirdischen haben sich einst der Körper des homo sapiens bemächtigt. 75 Millionen Jahre ist das her, doch der Nebel der Verwirrung umfängt noch heute die Menschheit.

Bei den Dorks begegnet man dann aber vielen alten Bekannten – auch wenn Macras sich für „Brickland“ soapähnliche Paarungen und Familienaufstellungen ausgedacht hat. Jared Gradinger kriegt mal wieder seinen sex drive nicht unter Kontrolle, und ihm wird wieder so ruppig Bescheid gestoßen, dass man langsam um seine Potenz fürchten muss. Die Koreanerin Hyoung-Min Kim besitzt wahrscheinlich den schwarzen Gürtel in sämtlichen Kampfsportarten, so heftig, wie sie auf ihre Bühnenpartner eindrischt – und auf das Stereotyp der sanften, unterwürfigen Asiatin. Die blonde Jill Emerson ist wieder die Idealbesetzung der weißen Mittelklassefrau zwischen Hysterie und Verklemmung. Knut Berger spielt einen deutschen Ethnologen, der Texte von Derrida vorträgt und sich dabei in Yoga-Posen verknotet.

Optisch ist dieses „Brickland“ ganz schön runtergerockt – das Bühnenbild mit dem geschmacklosen Springbrunnen sieht aus wie aus dem Ramschladen zusammengesucht. Das Gemeinschaftsleben in diesem Ghetto von Privilegierten läuft gleich aus dem Ruder. Schon das erste Grillfest wird zum Debakel. Constanza Macras will in „Brickland“ Klassen-, Rassen- und Geschlechtergrenzen attackieren. Dazu müssen die Akteure sich in wilden Keilereien verausgaben oder sonst wie die Sau rauslassen. Die Tänzer mit der stählernen Konstitution von Stuntmen und Stuntgirls beherrschen mittlerweile alles – von der Autoaggression über Schlamm-Catchen bis zur sexuellen Nötigung. Für Jill Emerson, die Mustergattin und liebevolle Mutter, hält die Choreografin eine besondere Klimax bereit. Leicht bekleidet muss sie in einer braunen Brühe herumschlittern, die wie Schlamm aussieht, aber nach Kakao riecht. Macras schenkt ihrer Middle- Class-Heldin sogar einen Moment der Einsicht: Die muss erkennen, dass sie wie ein Zuchtfisch in den eigenen Exkrementen vor sich hindümpelt, anstatt im großen Ozean zu schwimmen.

Doch Constanza Macras zieht in „Brickland“ nicht nur sämtliche Mittelklassensehnsüchte durch den Kakao. Sie teilt nach allen Seiten aus – doch die Satire bleibt bei diesem Rundumschlag schnell auf der Strecke. Am Ende haben die Dorks uns mal wieder gezeigt, wie versaut und dirty sie sein können. Wie öde!

Wieder am 17. und 18. Dezember.

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