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C (Casey Affleck) ist gestorben und begleitet seine Frau M (Mara Rooney) als Geist im Alltag.

© Universal

Drama „A Ghost Story“: Gefangene der Erinnerung

Dieser Film umgeht alle Kitsch-Stolpersteine. David Lowery meditiert in „A Ghost Story“ über Liebe, Tod und Vergänglichkeit.

Von Andreas Busche

Paranormale Aktivitäten gibt es auch in „A Ghost Story“. Glühbirnen flackern, Bücher fallen aus dem Regal, Küchengeschirr schwebt wie von unsichtbarer Hand bewegt. Aber David Lowerys melancholische Geistergeschichte ist kein später Nachzügler der kurzen Welle von Poltergeist-Filmen, die nach Zombie-Epidemien und Torture-Porn-Exzessen im Horrorkino den fast altmodischen Kitzel des jump scare wiederentdeckten. Gruselig ist „A Ghost Story“ schon deswegen nicht, weil der gute Geist des Films die ganze Zeit zu sehen ist – wenn auch nicht für die Protagonisten.

Ein anderer Grund ist zweifellos, dass dieser Geist aussieht, wie Fünfjährige sich Geister vorstellen: eine unförmige Gestalt unter einem weißen Bettlaken, mit zwei Löchern für die Augen, die in der Schwärze der Auslassungen aber nie zu erkennen sind. Die Umstände für diese Kostümierung sind so banal wie einleuchtend: Nachdem sich die Türen des Leichenschauhauses geschlossen haben, erhebt sich der Tote unter seinem weißen Leichentuch und macht sich auf den Weg. Zurück nach Hause, zu seiner Frau.

Als Prämisse für ein ernstzunehmendes Drama klingt das erst mal nicht weniger albern: der generische Titel, die ausdruckslose Spukgestalt unterm Bettlaken. Eher wie Caspar, der freundliche Geist. „A Ghost Story“ ist allerdings auch eine Spur kleiner gedacht als David Lowerys letzter Film, das Remake das Disney-Klassikers „Elliot das Schmunzelmonster“, in dem ein Waisenjunge sich einen ausgewachsenen Drachen als Spielgefährten imaginiert. Keine teuren Spezialeffekte verstellen hier die Sicht auf die Geschichte, keine hehren Familienwerte müssen für eine Moral herhalten. In „A Ghost Story“ wird ein Toter verlassen, von allen guten Geistern (bis auf einen, der ihm aus dem Fenster des Nachbarhauses einmal schüchtern zuwinkt), vor allem aber von seiner Freundin, die sich nach dem tödlichen Autounfall ihres Partners mühsam ins Leben zurücktastet.

Appell an unsere kindliche Vorstellungskraft

Natürlich denkt man unwillkürlich an eine andere Schmonzette, den zu Tode parodierten „Ghost – Nachricht von Sam“ mit Patrick Swayze und Demi Moore. Lowerys Leistung besteht nicht zuletzt darin, solche unvorteilhaften Assoziationen und Kitsch-Stolpersteine stilsicher zu umgehen. „A Ghost Story“ appelliert stattdessen an unsere kindliche Vorstellungskraft, die Magie des Kinos. Dieser Hui Buh ist ein entfernter Verwandter der sprechenden Welse und Affengeister aus dem Zwischenreich von Apichatpong Weerasethakuls Kino.

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Der Tod markiert eine nicht zu überquerende Linie zwischen den Liebenden. Er ist endgültig, hebt die Einheit von Zeit und Raum auf. So kann C, lebendig wie tot mit der derselben charakteristischen Schlaffheit von Casey Affleck gespielt, weiter an der Seite von M (Rooney Mara) verweilen. Er wird stummer, unsichtbarer Zeuge ihres Schmerzes – und mit ihm die Zuschauer. Einmal darf man Mara fünf Minuten lang dabei zusehen, wie sie sich in der ehemals gemeinsamen Küche über einen Kuchen hermacht. Erst sticht sie stumpf mit der Gabel auf ihn ein, wieder und wieder, bis sie schließlich die Herausforderung ihrer unaussprechlichen Trauer annimmt und ihn wie von Sinnen in sich hineinstopft. Die Szene endet, natürlich, über der Toilettenschüssel.

Die Toten können nicht von den Lebenden lassen

David Lowery findet einen traumhaften Rhythmus für dieses Zeitgefühl der Verlorenheit, zwischen fließenden Langeinstellungen und elliptischen Bildmontagen, die den Lauf der Zeit fast unmerklich aufheben. Jahre können vergangen sein, in denen M ihren Verlust überwunden und ein neues Leben begonnen hat. Während C wie ein blütenweißer Schutzengel über sie wacht, unfähig zur Kommunikation. Aber so stark sind die Erinnerungen an einen geliebten Menschen an gemeinsame Orte gebunden, dass C in dem Haus zurückbleibt, als M irgendwann den Umzugswagen mit all ihren Habseligkeiten aus der Einfahrt steuert. Der Geist von C sieht Nachmieter kommen und gehen – eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, ein paar Hipsterstudenten. Schließlich kommen Bagger, die das langsam verfallene Haus niederreißen, an derselben Stelle wächst ein Bürogebäude in die Höhe. Ein trauriges Gespenst ohne Dach über dem Kopf, Gefangener seiner Erinnerungen.

Es heißt, die Lebenden können nicht von den Toten lassen. In „A Ghost Story“ verhält es sich genau umgekehrt: Die Verstorbenen verharren an den Orten ihrer Erinnerung, bis diese langsam verblassen. David Lowerys Reflexion über Liebe, Tod und Vergänglichkeit ist dabei nicht ohne bittersüßen Humor. „Auf wen wartest du?“ fragt C einmal den Geist im Nachbarhaus. Die stumme Frage ist untertitelt, schließlich können Geister nicht sprechen. „Ich hab’s vergessen“, entgegnet der nur achselzuckend. Hin und wieder müssen sie dann halt einen Stapel Bücher umstoßen, um sich daran zu erinnern, dass die Zeit auch für sie nicht stillsteht.

In 12 Berliner Kinos.

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