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Kultur: Drehen Sie den Text bitte lauter

Ryan Adams singt lieber über die Liebe als über den 11. September

Die Stadt glitzert und funkelt wie ein Schatzkästchen. Das Strahlen elektrisiert. Aber es macht auch traurig, denn man weiß, dass dies nur ein Erinnerungsbild aus einer fernen, unschuldigeren Zeit ist. Die Augen saugen sich fest an den beiden alles überragenden Türmen, und die Ohren freuen sich, dass dieser junge Mann mit der Akustikgitarre seine Liebe für diese Stadt besingt. Er weiß noch nichts von den Schatten, die über die Skyline fallen werden. „New York, New York“, heißt der Song, und als das Video im vergangenen Herbst die Musikkanäle erreichte, dachte man: Endlich mal ein erträgliches Lied über den 11. September – nach all dem Enya-Geschnulze. Doch der Komponist ist nicht einverstanden, dass sein Stück als Post-Katastrophen-Hymne gesehen wird: „Es ist nicht wahr. Jeder sagt das, aber es ist einfach nicht wahr“, stöhnt Ryan Adams genervt ins Telefon. Er wehrt sich nicht zum ersten Mal dagegen, als 9/11-Bänkelsänger zu gelten. Die Leute hätten nach den Anschlägen ganz andere Musik gehört. Zum Beispiel John Lennon.

Dennoch: Geschadet hat Ryan Adams der zufällige New-York-Bezug der ersten Single seines zweiten Solo-Albums „Gold“ (Lost Highway) sicher nicht. Auch das Cover mit den amerikanischen Flaggen könnte den einen oder anderen Käufer motiviert haben. Dass die Stars-and-Stripes auf der Vorderseite verkehrt herum abgebildet sind, dürfte nicht weiter irritiert haben – hinten sieht man sie wieder in ihrer ganzen Pracht. Nationalistisch meint Adams den Fahnen-Zauber nicht: „Ich wollte damit die Born-in- the-USA-Generation ein bisschen anpissen“, sagt der 27-Jährige. Seine Musik ist allerdings gar nicht so weit von den alten Herren entfernt. Dylan, Springsteen, Young und die Stones schimmern immer wieder deutlich durch die Akkorde. Adams ist ein geradezu klassischer amerikanischer Singer/Songwriter mit Gitarre, Mundharmonika und launigen Posen. Was ihn jedoch zu einer Ausnahmeerscheinung des Genres macht, ist seine ungewöhnliche Kreativität und seine enorme Produktivität. Problemlos und professionell wechselt er von Folk zu Blues, springt kurz ein wenig in die Countryecke, um schließlich geradeaus abzurocken. Und das ganze immer mit einem sehr guten Gespür für hübsche Melodien, die ihm niemals auszugehen scheinen.

Seine ersten Songs schreibt Ryan Adams, der in Jacksonville (North Carolina) aufgewachsen ist, mit 14. Mit 15 wird er Drummer in einer Punk-Band. In der nächsten Band übernimmt er die Gitarre und schließlich auch den Gesang: Weil beim ersten Autritt der Sänger verschwunden ist, drängt der Bassmann ihn hinter das Mikrofon. Mit der dritten Formation „Whiskeytown“ kommen die ersten Erfolge, sie ergattert einen Plattenvertrag, avanciert zu einer Größe im Alternative Country und zu Kritikerlieblingen. 1999 wirft die Plattenfirma die Band raus. Adams geht nach New York.

Material für sein Solo-Debüt „Heartbreaker“ (Bloodshot) hatte er bald zusammen, denn Ryan Adams ist ein Nonstop-Musiker. Wenn er unterwegs ist, hat er meist Stift und Notizblock in seiner Gesäßtasche, um spontane Einfälle festzuhalten. Hat er das Büchlein mal vergessen, leiht er sich vom Barkeeper einen Kugelschreiber und kritzelt seine Songtexte auf Papierservietten. Sobald eine Gitarre in der Nähe ist, wird weitergebastelt und aufgenommen. Einmal spielte Adams ein komplettes Demo-Album in zwei Tagen ein. Er nannte es „48 hours“. In ähnlich rasantem Tempo nahm er innerhalb von zehn Monaten vier weitere Sessions in Albumlänge auf. Eine Auswahl dieser fiebrigen Produktion ist auf dem eben erschienenen Album „Demolition“ (Lost Highway) versammelt. Die 13 live eingespielten Stücke wurden laut Plattenfirma nicht mehr nachbearbeitet und klingen dafür erstaunlich gut. Sparsam instrumentierte Balladen wie „Dear Chicago“ stehen neben unkomplizierten Rocksongs wie dem wunderbaren Brecher „Starting to hurt“. Dazu kommen kurze Country-Folk- Ausflüge. Die Mischung ist ideenreicher als so manches reguläre Studioalbum von Großbands wie Oasis.

Textlich zeigt sich der Musiker mit der dauerverwuschelten Frisur allerdings weniger variantenreich. Bei ihm geht es fast ausschließlich um das eine: die Liebe. Und weil Adams damit nie sehr lange Glück hat, muss er immer wieder traurige Lieder schreiben. Sein Gesang klingt oft so, als wäre er nach einer Trennung mal wieder alleine aufgewacht und sehne sich nun nach der Wärme auf der anderen Seite des Bettes. Genau wie „Heartbreaker“ verarbeitete auch „Gold“ eine verlorene Liebe. Er nennt das Album „eine Art offener Brief“ an seine Ex-Freundin. Da fragt sich natürlich welche hier gemeint war, denn Herr Adams konnte schon einige - oft prominente - Damen für sich gewinnen. War es Alanis Morissette, deren Namen er im Booklet fünf Mal erwähnt oder richtet sich die Acht-Minuten-Abrechnung „Nobody Girl“ doch an Winona Ryder? Typische Adams-Zeilen wie „And I hold you close in the back of my mind/ Feels so good but damn it makes me hurt“ sind zu allgemein gehalten, um derlei Who-is-Who-Fragen zu beantworten. „Demolition“ ist der Schauspielerin und Musikerin Carrie Hamilton gewidmet, die Anfang des Jahres mit 38 Jahren an Lungenkrebs starb. „Sie war die absolute Liebe meines Lebens“, sagte Adams über sie in einem Interview. „Und innerhalb von fünf Monaten war sie tot. Ich konnte damit nicht umgehen. Ich rannte weg.“ Am Telefon möchte er nicht über sie sprechen. Nur soviel: Die Songs auf dem Album waren alle Lieblingssongs von ihr. Und den Song „Tomorrow“ hat das Paar zusammen geschrieben. Es ist eine zweistimmig gesungene, herzzerreißende Trauerballade rund um die Zeile „My baby´s gone“.

Dass Adams sich in seinen Texten ausschließlich mit Gefühlsdingen beschäftigt, ist der größte Unterschied zwischen ihm und der „Born-in-the-USA-Generation“. Zu deren jüngsten Veröffentlichungen will er lieber keinen Kommentar abgeben. Politik hat für ihn nichts in der Musik zu suchen. Trotzig sagt er: „Rockalben sind kein Grund, dein Leben zu verändern, sie sind ein Grund, deine Unterhosen zu wechseln.“

Ryan Adams spielt am Mittwoch, 20 Uhr, in der Passionskirche.

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