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Kultur: Dreisam, zweisam, einsam

Horrorfilm ohne Horror: „Glückliche Fügung“

Wer ist diese Simone? Die Wohnung ist eng, Matratze auf dem Boden, das Kopfsteinpflaster draußen verrät die Kleinstadt. Silvesterknaller zischen am Fenster vorbei, Simone zieht rote Pumps an, radelt in eine Bar, kippt Drinks, tanzt zum Croonersong. Bis nur noch ein anderer auf der Tanzfläche ist. Neben ihm wacht sie am Neujahrsmorgen im Auto auf, zieht die Strumpfhose hoch und radelt nach Hause. Trifft den Mann, Hannes, ein paar Monate später wieder, im Fahrstuhl des Krankenhauses, in dem sie gerade einen Schwangerschaftstest hat machen lassen. Der war positiv. Und Hannes freut sich darüber. Übrigens: Er arbeitet in jenem Krankenhaus als Sterbehelfer.

Isabelle Stevers Inszenierung einer Kurzgeschichte von Anke Stelling tupft dauernd Dunkles subtil in Weißes, Fröhliches. So nah, dass man kaum hinschauen mag, führt sie die werdende Mutter an ein Drama heran, das man aus anderen Filmen und Geschichten kennt. Wieso trinkt die schwangere Simone? Und fährt mit dem dicker werdenden Leib so schnell Fahrrad, dass sie hinfällt? Warum renoviert sie das Vorstadtnest, das der beängstigend zufriedene Hannes für beide gefunden hat, mit extra vielen Chemiegiften und verausgabt sich dabei total?

Simone kann ihr Glück einfach nicht fassen, im Wortsinn: Sie hat solche Angst, glücklich und wieder unglücklich zu werden, dass sie befremdliche Auswege sucht. Nur weg aus der Zukunft mit dem Mann, der keine Bedürfnisse zu haben scheint außer Simone, einem Häuschen und einem bisschen Lammbraten. Nur weg von jemandem, der ihr Komplimente macht, aber nie „Ich liebe dich“ sagt. Oder braucht man das nicht? Genau an diesem Klischee droht die verkappte Angstpatientin Simone zu scheitern: Sie weiß, was man erwartet von jungem Pärchen- und Elternglück. Nur scheint sie es gar nicht zu empfinden.

Regisseurin Stever lässt viel Interpretationsfreiheit. Mit Annika Kuhl und Stefan Rudolf hat sie starke, stille und unterschwellig agierende Schauspieler gefunden und die Figur der Simone bis auf ein wackeliges Gerüst heruntergeschnitzt. In ihre formal strenge Inszenierung setzt sie minimale Informationsspuren, hier ein mysteriöser Exfreund, dort ein Anfall von Eifersucht. Das kann man unbefriedigend finden, spannend ist es dennoch. Der Horrorfilm ohne Horror entwickelt sich so leise, dass man nie weiß, ob Simone auf ihrem Weg zu Baby und Mann gleich das Massakermesser herauszieht. Oder sich an ihren Hannes kuschelt. Zuzutrauen wäre ihr beides.Jenni Zylka

Nur im Babylon Mitte

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