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35 000 Menschen beteiligen sich an der Kundgebung für Weltoffenheit und Menschklichkeit in Dresden.

© Arno Burgi / dpa

Dresden, Stadt der "Pegida"-Demos: Zwei Gesichter einer Stadt

Gibt es zwei Dresden? Einerseits zeigt sich die sächsische Hauptstadt strahlend und weltoffen, mit Blick auf "Pegida" wirkt sie ängstlich und verzagt. Gegendemonstrationen, bürgerliche Kultur und freie Radikale - ein früherer Stadtschreiber erzählt von seinen Beobachtungen.

Im Februar 2012, da bin ich schon nicht mehr Stadtschreiber in Dresden, treffe ich mich mit Jens Baur auf ein Bier in der Altstadt. Damals sitzt Baur für die NPD im Stadtrat und schimpft auf die „Systemmedien“. Was heißt denn System?, frag ich ihn. Ja, sagt er, das sind halt so Kampfbegriffe. Ich schreib Bücher, sag ich, und genau betrachtet bin ich weniger System als Sie, ein Abgeordneter, es sind. Baur sagt: Irgendwie haben Sie recht.

Jetzt, da jeden Montag „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ in Dresden auf die Straße gehen, hört man wieder halt so Kampfbegriffe, diesmal „Lügenmedien“. Und wieder besetzen sie die Silhouette der Stadt, so wie es jahrelang Nazi-Aufmärsche taten am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung. Offenbar eignet sich das schöne Dresden besonders gut als Bühne, noch dazu für viele von auswärts. Denn gekämpft wird auch um Bilder. Wie gehabt stößt eine eher rechte Demonstration auf eine eher linke Gegendemonstration, gerade so, als zöge sich eine Spannungslinie mitten durch die Stadt. Die Februar-Nazis wurden durch ein bürgerliches bis linksalternatives Bündnis zurückgedrängt, durch Kundgebung, Menschenkette und Sitzblockade – am Sonnabend demonstrierten 35000 Menschen. Wie lange „Pegida“ durchhält, bleibt abzuwarten.

Seit fast fünfzehn Jahren lebt Barbara Lubich, eine Italienerin aus Trento, in Dresden. Sie hat über das Gedenken an den 13. Februar 1945 einen Film gedreht. Am Rand des Aufmarsches sagte ihr ein alter Mann: Wir wollen keine neue Diktatur. Wer sollte denn den Hitler machen? Ihr Film ist fesselnd und aufschlussreich, weil sie jede Seite zu Wort kommen lässt, ohne kommentierend einzugreifen. Das haben ihr manche zwar verübelt. Aber gut, wer immer nur hier die Guten und dort die Bösen sieht, sieht letztlich nicht mehr, als er immer schon gesehen hat. Kühn hat Lubich ihren Film „Come together“ genannt, und wenn man sich die Musik der Beatles dazu vorstellt, dann klingt der Titel gar nicht so uncool. An Händchenhalten denkt hier sowieso niemand – aber vielleicht an die Hoffnung, dass Gegner miteinander noch reden und streiten können.

In Dresden wächst die Bevölkerung wieder

Dresden hat den Zwinger, die Semperoper, unzählige Museen und das Staatsschauspiel. Es hat eine schwer bürgerliche Kultur, aber zum Glück auch ein paar freie Radikale, die E-Mails verschicken „mit anarchistischem Wintergruß“. Es hat viele Touristen, weil Touristen es schön haben wollen, und es gehört zu den wenigen ostdeutschen Städten, deren Bevölkerung wieder wächst. Dass Künstler und Intellektuelle die Stadt anziehend finden, liegt jedoch eher daran, dass sie mit ihr nicht fertig werden.

Janusköpfige Stadt. Vor der Kulisse bügerlicher Kultur finden montags die "Pegida"-Demos statt, aber auch die Zahl der Gegendemonstrationen wächst. Wem gehört die Stadt?, fragen die Dresdner Bürger.
Janusköpfige Stadt. Vor der Kulisse bügerlicher Kultur finden montags die "Pegida"-Demos statt, aber auch die Zahl der Gegendemonstrationen wächst. Wem gehört die Stadt?, fragen die Dresdner Bürger.

© picture-alliance / ZB

Dresden entzieht sich, weil es kaum auf den Begriff zu bringen ist. Einerseits strahlend und weltoffen, andererseits ängstlich und verzagt. Als Kommunikationswissenschaftler der TU Berlin im Dezember 2009 danach fragten, welches Umfeld die Bürger sich wünschten, antworteten 44 Prozent, sie bevorzugten „eine Gesellschaft, in der Menschen der gleichen Herkunft leben, Menschen, die sich sehr ähnlich sind“. Also fast die Hälfte. Und das nicht in irgendeinem bayerischen Dimpfldorf, sondern in einer sächsischen Großstadt. Im Juli 2010 sank der Anteil auf 35 Prozent, na, immerhin.

"Außerdem leben hier so viele Schwarze"

Der Rockmusiker Lord Bishop stammt aus New York, geschätzt zwei Meter groß, ein Schwarzer in der Stadt. Auf Konzerten pflegt er Whiskey zu trinken, und jedes Mal, so auch auf dem Stadtfest, kommt der Moment, da er mit der Flasche von der Bühne steigt. Menschen legen den Kopf in den Nacken und öffnen den Mund, damit ihnen der Lord einen Schuss hineingibt. Später frag ich ihn, warum er sich hier niedergelassen hat. Er antwortet: Warum nicht? Ich brauch ein Zuhause. Und in Dresden fühl ich mich wohl. Außerdem leben hier so viele Schwarze.

Da müssen wir laut lachen.

Jeden August feiert die Stadt sich selbst auf einem dreitägigen Stadtfest. In meinem Stadtschreiberjahr singt am letzten Abend Cassandra Steen vor der Semperoper. Nach dem bejubelten Konzert der farbigen Cassandra wird eine farbige Dresdnerin auf der Augustusbrücke niedergeschlagen. Hey, Scheißzecke! Darauf stößt ihr ein junger Mann den Fuß ins Gesicht, ein anderer tritt nach. Einer Freundin, die ihr zu Hilfe eilt, wird mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Danach flüchten die Täter. Nachdem Polizei und Sanitäter eingetroffen sind, leuchtet die junge Frau mit dem Handy das Pflaster ab, um ihre Zähne zu finden. Beide Frauen verbringen die Nacht im Krankenhaus.

Ach Dresden: Nicht einmal vier Prozent Migranten leben hier.

Tausende Menschen beteiligen sich vor der Frauenkirche in Dresden an einer Kundgebung unter dem Motto "Für Dresden, für Sachsen - für Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog im Miteinander".
Tausende Menschen beteiligen sich vor der Frauenkirche in Dresden an einer Kundgebung unter dem Motto "Für Dresden, für Sachsen - für Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog im Miteinander".

© Arno Burgi / dpa

Scheiß Dresden. Die Stadt macht es einem nicht leicht. Nicht einmal vier Prozent Migranten leben hier. Und trotzdem (oder deswegen) werden die sogenannten Fremden schneller als anderswo zum allbeherrschenden Thema. Gibt es zwei Dresden? Und wenn ja, redet Dresden eins mit Dresden zwei beharrlich genug, dass sie Gewalt allgemein mit Verachtung strafen? Offen gesagt: Fragezeichen.

Gehen Menschen auf die Straße, so haben wir es einmal gelernt, dann fühlen sie sich nicht angemessen politisch repräsentiert. Mir ist Öffentlichkeit lieber als Brüten hinter verschlossenen Türen. Es ist legitim, wenn Bürger sich wehren gegen Exzesse im Namen der Religion. Es ist nicht legitim, wenn sie Ethnien oder Hautfarben heruntermachen. Gern wird das eine mit dem anderen verwechselt, sogar an höchster politischer Stelle. Aber wir sollten uns die Unterscheidung nicht nehmen lassen. Einer meiner besten Freunde lebt im Kosovo, ein Moslem, Jeton Neziraj, der wie ich Stücke fürs Theater schreibt. Sobald sich Religiöses zu sehr ins Gesellschaftliche mischte, würden wir dagegen aufstehen, egal, ob zu viel Papst, ob zu viel Mohammed.

Liebe zu Dresden muss Widersprüchen der Stadt gewachsen sein

Klar, dass rechts fischende Politiker, wenn Tausende protestierend marschieren, ihre Instrumente prüfen, um diesen Marsch für sich instrumentalisieren zu können. Aber das ist platt und nur erfolgversprechend, wenn alle anderen „Pegida“ fallen lassen würden. Ist die offene Gesellschaft mehr als eine hohle Phrase, dann müsste sie sich die Mühe schon machen: Dresden eins an Dresden zwei, bitte kommen

Frank Richter ist Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. 1989, Dresden lag noch in der DDR, wurde er mit Demonstranten auf der Prager Straße von Polizisten eingekesselt. Er suchte in der Menge zwanzig Mitstreiter und ging auf einen Polizisten zu: Rufen Sie den Oberbürgermeister an! Wir müssen miteinander reden. Damit wurde die Wende in Dresden eingeleitet. 1991 erhielt Richter, stellvertretend für die friedlichen Demonstranten in der DDR, den Europäischen Menschenrechtspreis.

2011, in Erwartung eines neuerlichen Nazi-Aufmarschs, übernimmt Frank Richter wieder die Rolle eines Moderators, der den Widerstand vereinen soll. Und es gelingt ihm. In seiner Rede im vollbesetzten Schauspielhaus aber, kurz vor dem 13. Februar 2012, verblüfft er die Zuhörer und besonders das Bündnis „Dresden – nazifrei“ mit der Äußerung: Müsste es nicht statt ,Nazis raus!’ ,Nazis rein!’ heißen?“ Keiner wird als Nazi geboren. Eine Gesellschaft muss sich fragen, fährt er fort, inwieweit sie mitschuldig ist, dass schwache junge Menschen von den falschen Leuten stark gemacht werden.

Es wundert mich nicht, dass Richter auch jetzt wieder für den Dialog plädiert, und zwar mit „Pegida“. Für Argumente statt Animositäten.

Mit billiger Liebe ist diese Stadt nicht zu haben. Eine teure Liebe aber müsste Dresdens Widersprüchen gewachsen sein. Ja, das könnte anstrengend werden, aber es könnte sich auch lohnen.

Ralph Hammerthaler, Jahrgang 1965, lebt als Schriftsteller in Berlin. 2011 war er Dresdner Stadtschreiber. Zuletzt erschien sein Roman „Der Sturz des Friedrich Voss“ im Verlag DuMont.

Ralph Hammerthaler

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