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Eine Frau betrachtet in der Galerie Neue Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Albertinum in Dresden Gemälde des Künstlers Georg Baselitz.

© ddp

Dresdner Albertinum: Wunderkammer der Gegenwart

Skulptur, Romantik – und ein Fest für die Moderne: Zur Wiedereröffnung des Dresdner Albertinums.

In diesen Tagen hat Moritz Woelk, Direktor der Skulpturensammlung, öfter Gelegenheit sein Bonmot anzubringen: „Für die Menschheit ist es nur ein kleiner Schritt, aber ein gewaltiger für das Dresdner Albertinum.“ Sechs Jahre war das Museum wegen Umbau geschlossen, nachdem das Hochwasser 2002 in die unterirdischen Depots gedrungen war. Am heutigen Sonnabend wird es wiedereröffnet. Für ein Museum ist das eine lange Zeit. Das In-Vergessenheit-Geraten, das Nicht-mehr-gesehen-Werden kann für eine Sammlung genauso gefährlich sein wie ein ansteigender Pegel.

Doch das Albertinum ist gerettet, nach einer Phase der Absenz für 51 Millionen Euro vollständig wiederhergestellt. Die dramatische Geschichte, der noch heute in Dresden mit Bildern und Informationstafeln im öffentlichen Raum präsente Schrecken durch die von allen Seiten eindringende Elbflut hat sich für die Galerie Neue Meister am Ende als Glücksfall erwiesen. Die Schäden und die wenige Monate später von Künstlern initiierte Auktion mit gespendeten Bildern waren ausschlaggebend für den gewaltigen Schritt: Sanierung, Neukonzeption der Sammlung und Einbau eines überirdischen Depots mit Werkstätten, Hinzugewinnung neuer Ausstellungsflächen. Mit der Eröffnung beginnt für das Albertinum eine neue Zeitrechnung. Plötzlich hat das immer etwas behäbige Haus Lichtjahre zurückgelegt und ist zum Museum der Moderne geworden.

Die Grundlage für diesen Wandlungsprozess schuf der Berliner Architekt Volker Staab. Er bewies schon in Chemnitz mit dem Umbau eines historischen Bankgebäudes in ein Museum für die Sammlung Gunzenhauser, dass sich über ein verändertes Entree ein ganzes Gebäude neu denken lässt. Für Dresden hatte er den genialen Einfall, den bislang ungenutzten Innenhof mit einer sogenannten Arche Noah zu überbauen, einem Querriegel in 17 Meter Höhe, der die zentrale Freifläche der Vierflügelanlage überdacht. In der 72 Meter langen Stahlkonstruktion, die wie eine Brücke an der einen Schmalseite auf dem Aufzug, an der anderen auf zwei Stahlträgern ruht, sind Depot und Werkstätten untergebracht: licht, hell, praktikabel. Zum Jahresende will man einziehen.

Gleichzeitig ist mit diesem von außen für Passanten unsichtbaren Trakt, der optisch unterhalb der Firsthöhe der Albertinumsgiebel bleibt, eine neue Decke eingezogen, die zwar klobig wirkt, auch wenn seitliche Lichtfugen sie zum Schweben zu bringen versuchen. Aber die ungewöhnliche Überdachung ermöglicht einen neuen Raum, eine wahre Bahnhofshalle, in der Kasse, Garderobe, Buchladen und Café untergebracht sind. Wer heute das Albertinum besucht, wird als Erstes hier landen: sei es klassisch durch den Haupteingang von den Brühlschen Terrassen, sei es durch den Seitenflügel vom Georg-Treu-Platz aus, der direkt weiter zur Frauenkirche führt. Auf diese Weise sollen die Publikumsströme vom beliebtesten Touristenziel Dresdens direkt ins Museum weitergeleitet werden.

Wenn es in Berlin im vergangenen Jahr bei der Übergabe des Neuen Museums hieß, dass die Nachkriegszeit für die Museumsinsel nun endgültig vorüber sei, so gilt dies jetzt auch für das Albertinum. Immer wieder musste der zwischen 1559 und 1563 als Zeughaus errichtete Bau, der Ende des 19. Jahrhunderts für die Skulpturensammlung umgewandelt wurde, nach Kriegsende neue Untermieter aufnehmen: die Generaldirektion der Staatlichen Kunstsammlungen, das Münzkabinett und die Rüstkammer. Erst mit dem Wiederaufbau des Residenzschlosses und der Rekonstruktion des Grünen Gewölbes sind diese Schätze ausgezogen. So wurde Raum für Sonderausstellungen gewonnen. „Das versprochene Land“ heißt die erste Schau, mit der sich das Haus bei all den Künstlern bedankt, die für die Benefizauktion gespendet haben.

Jetzt erst ist das Albertinum als Galerie Neue Meister bei sich angekommen. Die Skulpturen von der Antike bis zur Renaissance dürfen zwar noch bleiben, bis sie 2013 ihr Quartier in der Sempergalerie erhalten. Doch gerade diese auf engstem Raum in Schaudepots zusammengeschobenen Marmorköpfe und -leiber, die mit Schildchen versehen sind, bilden die schönsten Einblicke und erhellendsten Unterbrechungen. In verdunkelten Sälen sind sie strahlend ausgeleuchtet, auf schwarzen Regalen oder im Entree am Treu-Platz unter einer Gewölbekuppel: stumme Zeugen einer noch ferneren Vergangenheit, steinernes Rückgrat für die Moderne, die im Albertinum schon um 1800 beginnt.

Dresden ist nun einmal die Stadt der Romantik. Anders als in Berlin, wo das 19. Jahrhundert in der Alten und die Moderne separat in der Neuen Nationalgalerie untergebracht ist, sieht Ulrich Bischoff, Direktor der Galerie Neue Meister, den Bruch bereits bei den Romantikern. Mit ihnen kam der Subjektivismus des Künstlerindividuums auf, die Idee einer neuen Gesellschaft. Beinahe wird dieser Trumpf jedoch verspielt, denn vor dem Aufgalopp von Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus oder Johann Christian Dahl findet sich als Prolog die jüngste Garde: Neo Rauch, Eberhard Havekost, Martin Borowsky, die es denn doch nicht mit den Klassikern aufnehmen können. Steif stehen sie vor grauem Fond, wie an einer Perlenkette aufgereiht, wo einst in Dresden mit kräftigerer Wandfarbe ein Gefühl für das Romantische hergestellt wurde.

Leidenschaft wird erst bei den Expressionisten spürbar; Georg Baselitz durfte Skulpturen aus der Afrikasammlung des Dresdner Völkerkundemuseums hinzustellen. Hier geschieht etwas, kommuniziert die Kunst, während in den anderen Sälen mit Monet, Degas, Liebermann und Slevogt der Fluss der Kunstgeschichte plätschert; selbst die Marmortür von Ai Weiwei oder das Gemälde von Sean Scully als Einsprengsel der Gegenwart werden beiläufig umströmt.

Und doch wird man nach Dresden reisen, um hier anderes zu sehen als in den übrigen großen Ausstellungshäusern der Republik. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall stellt Bischoff Kunst östlicher und westlicher Provenienz einander gegenüber. Sowohl figurativ als auch abstrakt halten sie sich die Waage. Dieser immer noch spannende Vergleich findet bei den drei großen sächsischen Malern Gerhard Richter, Georg Baselitz und A.R. Penck zur Synthese, die zu Mauerzeiten in den Westen gingen und nun mit eigenen Sälen furios wiederkehren. Richter hat es vorgemacht, für die Benefizauktion gab er das teuerste Bild. „Auf diesem Fels sollt ihr mein Albertinum bauen“, soll der Maler scherzhaft gesagt haben. Nun hängt das Millionenwerk in Dresden.

Zum Tanzen aber kommt die Skulptur im Albertinum. Der Mosaiksaal links und der Klinger-Saal rechts vom Eingang der Brühlschen Terrasse feiern das 19. Jahrhundert, den Klassizismus eines Ernst Rietschel sowie das Fin de Siècle. Dort wo unter Gewölben einst die Kanonen lagerten, findet sich das 20. Jahrhundert. Auch hier wiederholt sich der Antagonismus von abstrakt und figurativ. Für die Auflösung sorgen jedoch nicht die Künstlerstars, sondern eine junge Bildhauerin: Birgit Dieker mit ihrem Knäuel aus Bootstauen und Rettungsringen, das sie „Seelenfänger“ nennt. Da ist der Besucher längst gefangen.

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