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Natalia Lach-Lachowicz protestierte mit ihrer Fotoserie „Consumer Art“ (1975) gegen den Puritanismus der polnischen KP.

© József Rosta / Ludwig Museum – Museum of Contemporary Art

Dresdner Ausstellung „Medea muckt auf“: Die Rebellion ist weiblich

Verwehte Gedichte, genagelte Kappen, textile Fetische: Die furiose Ausstellung „Medea muckt auf“ zeigt wehrhafte Künstlerinnen hinter dem Eisernen Vorhang.

Wer die seit 2005 wiederaufgebaute Kunsthalle im Lipsiusbaus zwischen Frauenkirche und Brühlscher Terrasse betritt, ist sofort beeindruckt von dem Kontrast zwischen üppigem Bauschmuck und unverputztem Mauerwerk. Unter der gläsernen Kuppel hängt eine makrameeartige Garnverknotung bis in die kreisrunde Öffnung zum Untergeschoss, während ein grobes Tau mit Knoten den direkten Zugang zum Kassenbereich versperrt.

Beide Installationen aus Schnürwerk fügen sich auf subtile und widerständige Weise in den natürlichen Farbklang der Architektur ein. Sie stammen von Christa Jeitner. Mit ihren Werken aus textilen Materialien tritt die Berlinerin als eine von 36 radikalen Künstlerinnen und Kollektiven hinter dem Eisernen Vorhang hervor, die hier unter dem Titel „Medea muckt auf“ einen starken Auftritt haben. Wie überfällig diese Würdigung ist, zeigt die aktuelle Ausstellung im benachbarten Albertinum. In den eigenen Beständen der Kunst in der DDR hat sie kaum weibliche Positionen zu bieten.

Die mythologische (Anti-)Heldin Medea hat die Kuratorin Susanne Altmann neben Kassandra und Penthesilea als Identifikationsfiguren osteuropäischer Künstlerinnern entdeckt. Die rebellischen Frauenfiguren der Antike dienen nicht nur als kultivierte Tarnung, um das Unbehagen an sozialen und politischen Verhältnissen auszudrücken. Sie erscheinen auch im zeitgenössischen Gewand von Punk und Performance, Mode und Malerei, Foto und Film. Die sogenannten Vor-Medeischen Zeichnungen „Form-Inform“ von Geta Bratescu aus dem Jahr 1975 ebenso wie Karla Woisnitzas Zeichnungszyklus zum Medea-Mythos von 1985 belegen die kuratorische Behauptung eindrucksvoll.

Selbst die freie Natur bot nur einen gewissen Freiraum

Die Ausstellung entfaltet sich in großen Kapiteln zu Mythos, Malerei, Fotografie, Intermedia, Textilem, Mode, Körperarbeit, Serialität, kleinem Format und freiem Raum. Sie fragt nach den spezifischen Bedingungen, unter denen osteuropäische Künstlerinnen produziert haben: Welche gestalterischen Motive und Medien, Strategien und Freiräume gab es innerhalb der autoritären Regime Osteuropas vor 1989? Für viele Künstlerinnen war der eigene Körper der einzige Rückzugsort für einen selbstbestimmten Ausdruck. Selbstinszenierung, Performance und Tanz dienten seit den 70ern der Kritik an sozialistischen wie gesellschaftlichen Rollenmodellen.

Selbst die freie Natur bot nur einen gewissen Freiraum, in dem ostdeutsche Künstlerinnen wie Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime ihre performativen Körperinszenierungen verwirklichen konnten. Anders als die westlichen Kollegen der Land-Art waren die temporären Landschaftsprojekte für Magdalena Jetelovà und Zorka Ságlová in der CSSR oder Ana Lupas in Rumänien immer mit persönlichem Risiko und äußerem Widerstand verbunden.

So wie Christa Jeitner immer gegen den Strich genäht, geknüpft und gebügelt hat, erscheint die oftmals weiblich konnotierte Materialität und Handwerklichkeit des Textilen keineswegs bieder und häuslich, sondern zieht sich wie ein blutroter Faden aus Schmerz, Aggression und Unbehagen durch die Ausstellung. Wie ein gehäutetes Tier oder Fetisch hängt Magdalena Abakanowiczs Textilskulptur „Abakan Braun IV“ (1969–84) von der Decke. Die unzähligen Nähte ziehen sich wie Narben über die sieben „Identitätshemden“ (1970–1980) von Ana Lupas, sodass eine Art Porträtreihe versehrter Identitäten entsteht. Reliefhafte Stoffbilder von Adriena Šimotová stellen das „Weinen“ (1974) und die „Nahe Entfernung“ (1978) eines Paares in den blassen Farben stiller Trauer dar.

Radikale Selbstermächtigung, aber auch leisere Töne

Doch das Textile ist nicht nur mit Trauer und Leid aufgeladen. Es dient auch dem individuellen Selbstausdruck in der Mode, für die es im Ostblock weder ein großes Angebot noch große Toleranz gab. Hippie- und Punkkultur standen unter Generalverdacht, wogegen sich die Künstlerinnengruppe Erfurt und die Berliner Mode- und Performancegruppe Allerleirauh mit ihren fantasievollen Kreationen zur Wehr setzten. Eine Punk-Kappe mit Metallnägeln findet sich in einer Fotografie von Sibylle Bergemann wieder. Ihre Aufnahmen der Allerleirauh-Kollektion wurden zu Ikonen einer unangepassten, selbstbestimmten Weiblichkeit. Nicht weniger ikonisch steht das Foto „Kranführerin, Leipzig“ für die Serie von Arbeiterinnen in DDR-Betrieben, die Evelyn Richter zur Meisterfotografin ostdeutscher Realität gemacht hat. Im Dialog mit ihren Aufnahmen stehen die Porträts polnischer Bäuerinnen, die Zofia Rydet „Im Lauf der Zeit“ zwischen 1963 und 1977 fotografiert hat. Unter den großen Fotografinnen hat schließlich Gundula Schulze Eldowy mit ihrer „Tamarlan“-Serie (1979–87) eine ergreifende Dokumentation von Elend und Würde im Alter geschaffen. Ihre berühmte Aufnahme einer alten Frau, die sich wütend mit der Rechten ausholend gegen einen Angreifer wehrt, könnte das Covergirl für „Medea muckt auf“ sein.

Neben den radikalen Formen der Selbstermächtigung werden in der Abteilung „Intermedia“ durchaus leisere Töne angeschlagen. In den schönen Gewölbenischen des Untergeschosses vom Lipsiusbau sind die Filmarbeiten perfekt inszeniert. Wenn die seit vielen Jahren in Berlin lebende Polin Ewa Partum ihre ausgeschnittenen Buchstaben und Blätterstapel vom Wind davontragen lässt, so ist das eine andere Form der Rebellion. Ihr Titel lautet: „Aktive Poesie. Gedichte von Ewa“ (1971–73). Und wenn Geta Bratescu in „Les Mains“ (1977) nur ihre Hände in Szene setzt, so lässt das an eine unbegrenzbare Kreativität – auch unter unfreien Bedingungen – glauben.

Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden, bis 31. 3.; Katalog folgt.

Dorothea Zwirner

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