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Kultur: Drinnen vor der Tür

Bertolt Brechts „Trommeln in der Nacht“ im Berliner Ensemble

Wie soll’s denn heißen? Auf den Gazevorhang, der vor die Bühne des Berliner Ensembles gespannt ist, werden zu Beginn des Abends verschiedene Titelvorschläge projiziert: „Trommeln in der Nacht“ steht da zuerst, schräg gestellt wie in einem Kinovorspann. Das ist der offizielle Titel von Bertolt Brechts zweitem Stück – dem ersten, das je zur Aufführung kam, 1922 in München. Es folgen „Spartakus“, der Ursprungstitel, „Anna, die Soldatenbraut“, „Das sterbende Gespenst“, „Von der Barrikade aufs Ehebett“. Und andere, sämtlich in verschiedene Schriftarten gesetzt – ein passender Einstieg in Philip Tiedemanns unentschiedene Inszenierung dieser „Komödie“, so die Stückunterschrift.

Komödiantisch geht es auch los, wenn die Eheleute Balicke (Manfred Karge und Claudia Burckhardt) in der bürgerlichen Wohnstube die Zukunft ihrer Tochter planen und die derben Pointen des jungwilden Brecht schonungslos ausspielen: „Der Sau Ende ist der Wurst Anfang.“ Jedes mütterliche Tischdeckeglattstreichen wird von einem Tröten, jedes väterliche Faust-auf-den-Tisch von einem Tschingderassabum begleitet (Musiker: Lukas Fröhlich und Matthias Trippner). Die weiß gepuderten Gesichter der bourgeoisen Knallchargen dazugenommen, ergibt das eine ziemlich penetrante Clownsnummer.

Dann wird’s aber ernst. Wenigstens hören die Zwischengeräusche auf. Da kommt der Artillerist Kragler (Thomas Niehaus) nach vier Jahren Afrikakrieg wieder nach Hause, just eine halbe Stunde, nachdem die Eltern seiner Braut diese mit dem rattig herumschnüffelnden Karrieristen Murk (Steffen Schroeder) verlobt haben – schwanger ist sie ohnehin schon von ihm. Ewig soll das Töchterlein schließlich nicht warten, ein Mann ist Gold wert in diesen schlimmen Zeiten. Wenn Kragler auftritt, wird stets ein verkratertes Vollmondfoto auf die Bühnenrückwand (von Etienne Pluss) projiziert – einmal stürmt Kragler aus der Tür, da zoomt auch der Mond schnell zurück ins All, und der Zuschauer fühlt sich wie im Raumschiff, das ist hübsch. Kragler spricht die ganze Zeit über mit einer gepressten, tonlosen Stimme, ein Leidens-Sound, staubig und ausgetrocknet wie der Veteran selbst, der in weißer Uniform und mit Schorf an der Schläfe vom Afrikamond kommend ins fast ebenso unwirtliche Drinnen-vor-der-Tür stolpert.

Der Zurückgestoßene macht erst auf der Verlobungsfeier im Edellokal Rabatz, irrt dann in einem durchaus wie von Brecht geforderten „fliegend und musikalisch“ gestalteten Zwischenakt durch die Nacht. In einer jämmerlichen Schnapspinte macht er Halt, erzählt seine Leidensgeschichte und treibt die anwesenden Proleten von einer Besoffenheit in die nächste. Schließlich stürzen sich alle in die im Hinterbühnen-Kunstnebel tobenden Kämpfe, für die Brecht die revolutionären Kämpfe der Jahre 1918/19 zum Vorbild nahm. Am Ende aber macht Kragler doch nicht mit, weil plötzlich Anna dasteht. Und weil er plötzlich merkt, dass er doch etwas zu verlieren hat.

Eigentlich ein interessanter Konflikt, den Brecht aufmacht, zu einer Zeit, als seine politische Linie noch nicht verfestigt war: Kragler entscheidet sich dagegen, sich für eine Idee verheizen zu lassen, er verschwindet lieber mit Anna im privaten Bett. Und der Revolutionsmob stürmt weiter in Richtung Kanonendonner. Da wäre die Inszenierung plötzlich gerne sehr, sehr ernst. Allerdings scheint Tiedemann sich das dann doch nicht zu trauen. Vielleicht auch, weil sich die Situation des Brecht’schen Lumpenproletariats nicht mehr ohne Weiteres ins Heute ziehen lässt, obwohl der Abend mit einem vom versammelten Proletariat hinterm Gazevorhang hervorgezischten „Jetzt!“ zu Ende geht.

Wieder am 7., 14. September, 20 Uhr

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