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Opfer des Leistungsdrucks. Der Rapper Lil Peep (li.) starb 2017 mit 21 Jahren an einem Cocktail aus Beruhigungs- und Schmerzmitteln. Foto: Scott Dudelson/Getty Images, Imago

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Das psychedelische Jahrzehnt: Wie Drogen den Pop bereichern - und Künstlerleben zerstören

Vom Summer of Love zum Techno of Detroit: Drogen gehören zum Pop. Was Künstler konsumieren, sagt viel über die Zeit. Eine kleine Kulturgeschichte des Rausches.

Der Künstler findet offene Worte: „Wenn ich betrunken bin oder mich erbrochen habe, so war am anderen Tag die Fantasie schwebender und erhobener.“ Seine Schaffensjahre fasst er in einem Wort zusammen: „Katzenjammervoll.“ Wer da so freimütig über das Verhältnis von Rausch und Kunst spricht, ist weder die Punk-Ikone Sid Vicious, noch der legendäre Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister. Es ist der Komponist Robert Schumann, dessen romantische Klänge bereits im vorletzten Jahrhundert die Konzertsäle erfüllten.

Von Ritualen und Zeremonien der Jungsteinzeit bis zur Clubkultur der Gegenwart: Drogen und Musik stehen seit Menschheitsgedenken in einem wechselvollen Verhältnis. Zwischen kultureller Bedeutung und subkultureller Verklärung liegen Erzählungen von Schöpferkraft, Eskapismus und Sucht dicht beieinander. Nicht zuletzt die jüngsten Drogentoten in der Popszene lösten Diskussionen über den problematischen Umgang von Rauschmitteln unter Musikern aus.

Kostete in vergangenen Jahrzehnten meist Heroin das junge Künstlerleben, ist es in Zeiten der globalen Opioidkrise vor allem das Schmerzmittel Fentanyl: Der Rapper Mac Miller starb 2018 an Fentanyl und Kokain, sein Kollege Lil Peep an Fentanyl und Alprazolam. Tom Petty wurde 2017 eine Mischung aus Fentanyl und Oxycodon zum Verhängnis. Und auch Prince überlebte 2016 eine Überdosis des Schmerzmittels nicht.

Stichwortgeber des psychedelischen Jahrzehnts ist Timothy Leary

In keinem Jahrzehnt sind Rausch und Pop dermaßen verquickt wie in den 1960er Jahren. In „Break On Through“ von The Doors, „Lucy in the Sky with Diamonds“ der Beatles oder „Purple Haze“ von Jimi Hendrix wird das „Ausklinken“ mittels Drogen besungen. Stichwortgeber des psychedelischen Jahrzehnts der popkulturellen Gegenkultur ist Timothy Leary, Psychologe und „Hohepriester des LSD“, der den Slogan „Turn on, tune in and drop out“ prägt.

Auf der Suche nach Lebensmodellen jenseits der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sind Acid, Mescalin und Cannabis Türöffner zu alternativen Gesellschaftsentwürfen. Herbert Marcuses Schlagwort von der „großen Weigerung“ wird in Rauscherfahrungen übersetzt.

Die Verbindung aus Drogen und psychedelischer Rockmusik soll eine ästhetisch-erotische Dimension eröffnen, als Gegenstück zur kalten Rationalität des Alltags, das sinnliche, spielerische Element des menschlichen Daseins betonen. Ein psychotropes Aufbegehren gegen das Korsett aus Fabrikdisziplin und die Anforderungen der Lohnarbeit.

Gitarrenhexer Jimi Hendrix bekämpfte seine Depressionen mit Drogen.
Gitarrenhexer Jimi Hendrix bekämpfte seine Depressionen mit Drogen.

© Imago

Mit dem Ende des Jahrzehnts, erfolgt das Erwachen aus der Illusion – und der Kater ist heftig. Innerhalb eines Jahres finden Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison den Drogentod. Dem Mythos des psychedelischen Jahrzehnts als fruchtbarer Nexus zwischen Rauschmitteln und Kreativität widerspricht John Lennon höchstpersönlich: „Drogen sollen verhindern, dass sich der Rest der Welt in dich drängt. Sie bringen dich aber nicht dazu, besser zu schreiben.“

Die Hoffnung auf die substanzgesteuerte Transzendenz verkehrt sich in einen Kampf gegen die Sucht. In Songs wie „Needle and the Damage Done“, von Neil Young, „Sister Morphine“ von den Rolling Stones oder „Cocaine“ von JJ Cale gehen die Künstler explizit auf die Folgen des Drogenmissbrauchs ein.

Freiwilliger Verzicht auf Rauschmittel

James Hetfield, Frontmann von Metallica, wird es später so zusammenfassen: „Anstatt dass du kontrollierst, was du einnimmst und tust, sind es Drogen, die dich kontrollieren." Doch einigen reicht Mäßigung allein nicht. Definiert Ian Dury die Grundpfeiler der Rockmusik 1977 noch als „Sex and Drugs and Rock’n’Roll", sind es Musiker der Hardcore-Punk-Szene in den frühen 1980er Jahren, die mit einem schwarzen X ihren freiwilligen Verzicht auf Rauschmittel ausdrückten. Die Band Minor Threat prägt in ihrem Song „Out of step“ den Slogan: „Don’t smoke, don’t drink, don’t fuck".

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Im britischen Summer of Love in den späten 1980er-Jahren wird der Rausch in der aufkeimenden Acid-House-Szene und der jungen Rave-Kultur wieder ein elementarer Bestandteil subkulturellen Selbstverständnisses. Es ist die Geburtsstunde dessen, was der Poptheoretiker Simon Reynolds später die „Generation Ecstasy“ nennt.

Existieren in der elektronischen Musikszene anfänglich noch Anklänge der Utopien aus den 1960ern, wandelt sie sich durch die kommerzielle Ausschlachtung innerhalb weniger Jahre zu einem tendenziell unpolitischen Freizeitvergnügen. Es geht immer weniger um den Ausstieg aus gesellschaftlichen Verhältnissen oder ein Aufbegehren dagegen. „Die bieder-bürgerliche Arbeitswelt drängt zur Flucht in den Club, der wiederum mit Ecstasy (in geringerem Maß mit LSD) und einer sphärischen, völlig neuen und anderen Musik ein paralleles (Nacht-)Leben ermöglicht“, schreibt der Kulturwissenschaftler Robert Feustel.

Der DJ als unternehmerisches Selbst im Neoliberalismus

In den 1990er-Jahren ist dabei eine elementare Verschiebung zu beobachten: weg vom genussorientierten hin zum zweckorientierten Konsum. Der Rausch will fortan weniger überschreiten, sondern passt sich den Anforderungen der modernen Arbeitswelt an. Im Durchfeiern der Nächte spiegelt sich auch die ökonomische Leistungssteigerung und Flexibilisierung wider.

Die Transformation des DJs zum weltweit gefeierten Megastar auf Großbeschallungshappenings ist dafür bezeichnend. Kaum ein anderer Künstlertypus versinnbildlicht das Ideal des unternehmerischen Selbsts im Neoliberalismus besser. Immer unterwegs, rund um die Uhr aktiv, nie aus der Aktualität fallen, stets flexibel auf Publikum und Veranstaltungsort reagieren müssen. Der international gefragte Hamburger DJ Koze beklagte jüngst: „Das ist eine neue Dimension von ’Wie viel Gas kann ich geben?’. Das hat doch mit Lebensqualität nichts zu tun. Da kann mir kein Mensch erzählen, dass das glücklich macht.“

Musik ist heute mehr denn je ein Produkt, das der Logik der Ware gehorcht. Gleichsam darf sich ihr Verkäufer keine Schwäche im Konkurrenzkampf um die wenigen lukrativen Slots der großen Clubs leisten. Zwischen Selbstausbeutung und Selbstoptimierung gewinnen dabei stimmungsaufhellende, konzentrationsfördernde und leistungssteigernde Substanzen, sogenannte Upper, an Bedeutung: Speed, Crystal und Kokain.

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Wohin diese Steigerungslogik führt, hat der frühe Tod des schwedischen Star-DJs Avicci im April 2018 vor Augen geführt. In der Dokumentation „True Stories“ erklärt er wenige Monate zuvor noch: „Die Ärzte gaben mir Schmerzmittel. Ich habe immer wieder gesagt, dass ich nicht mehr auftreten kann, dass mich das umbringt.“

Auch Michael Jackson starb an einer Überdosis des Narkosemittels Propofol. Was in diesen Fällen aufscheint: der Künstler als zurechnungsfähiges Arbeitssubjekt, das aus dem Werkzeugkasten an Substanzen reguliert wird.

Was dich kaputtmacht, verkauft sich

Forscher der University of Minnesota untersuchten die Texte von Songs aus den Top-40-Charts. Demnach nahm der Anstieg von Drogenreferenzen in der Popmusik in den vergangenen Jahren deutlich zu und erreichte ab 2010 einen vorläufigen Höhepunkt. Besonders auffällig: „Opioid-Referenzen sind in der heutigen Musik immer häufiger geworden.“

Einen Anteil daran dürfte eine der jüngsten popkulturellen Entwicklungen haben: Cloudrap. Zwischen ätherischen Synthesizer-Sounds und Autotune-Gesang ist viel Raum für die Verherrlichung verschreibungspflichtiger Medikamente. Vor allem der Angstlöser Xanax oder das sogenannte „Lean“, ein Mix aus Limonade und codeinhaltigem Hustensaft genießen große Popularität.

Die gelallten oder genuschelten Nonsens-Lyrics können auch als Inszenierung einer offen zur Schau gestellten Kapitulation vor gesellschaftlichen Anforderungen mittels Gefühlsnarkose gedeutet werden. Eine in Watte gepackte Illusion, wenigstens im Rausch dem Druck gewachsen zu sein.

Bereits 1970 schrieb Hunter S. Thompson in seiner Abrechnung mit dem psychedelischen Jahrzehnt: „Der große Markt sind heutzutage Downers (...) Was sich heute verkauft, ist Was-Dich-Kaputtmacht – alles, was Kurzschluss im Gehirn verursacht und die grauen Zellen außer Gefecht setzt.“ Eine Einschätzung, die im neoliberalen Zeitalter noch immer von verblüffender Aktualität ist.

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