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Kultur: Dschungel der Zeit

Es muss Mitte der neunziger Jahre gewesen sein, als das ewige Achtziger-Revival begann. Womöglich ging es mit Christian Krachts „Faserland“ los.

Es muss Mitte der neunziger Jahre gewesen sein, als das ewige Achtziger-Revival begann. Womöglich ging es mit Christian Krachts „Faserland“ los. Dieser Roman erschien 1995 und las sich wie ein Buch aus der „Tempo“-Literaturschmiede: Barbourjacken-Held, Markenfetischisierung, Zynismus, all das. Seitdem sind die Achtziger dauerhaft präsent, in Mode und Kultur, Politik und Gesellschaft, und wenn es das Privatleben von Helmut Kohl ist, das für stets neuen Gesprächsstoff sorgt. Vielleicht waren sie ja auch das letzte authentische Jahrzehnt, konnte man doch damals nicht nur authentisch Angst haben (Atomkrieg, Waldsterben etc.) und sich authentisch engagieren, sondern sich auch authentisch allem Authentischen verweigern.

Im Moment befinden sich Teile des Kulturbetriebs wieder ganz fest im Griff der achtziger Jahre, auch wenn es dabei weniger um Revitalisierung als um Historisierung geht. Wolfgang Müller hat gerade ein Buch veröffentlicht, in dem er eine Geschichte der West-Berliner Subkultur von 1979 bis 1989 zu erzählen versucht. Das ist ihm zwar nicht ganz gelungen, weil er selbst und seine Band von damals, Die Tödliche Doris, ihm im Weg stehen. Man muss das Ganze wohl auch als Tödliche-Doris-Biografie verstehen und lesen. Die damalige Zeit aber vermittelt sich trotzdem: so viel Kreativität, Düsternis und Verweigerung, so viel Risiko, so viele Dschungels, so viele echte falsche Heinos, die gegen den echten falschen Heino von heute ein Ausbund an Authentizität waren, so viele Bierdosenstapel!

Keine Rolle spielen in Müllers Buch Nick Cave und Konsorten, die bis zum Mauerfall den Sound der geteilten Stadt prägten und diesen auch in die Restrepublik und Welt trugen. Macht aber nichts: Von Nick Cave und den Bad Seeds gibt es ein neues Album, das mindestens so gut ist wie die aus seiner West-Berliner Zeit, auch weil er es darauf nicht anlegt, noch einmal jung zu sein, den Krach von früher zu machen. Ja, und dann ist da noch die große Kippenberger-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Abgesehen davon, dass Martin Kippenbergers Kunst, sein Humor, seine Kaputtheit eine einzige Zeitreise ist – man trifft hier viele bekannte Gesichter von früher. Ach, ist das nicht der Typ, der 1988 im Rösli Country-Platten aufgelegt hat? Und dort, die Zahnärztin von Blixa Bargeld und Oskar Roehler! Und da, jene Dame, genau, die hat doch früher immer im Café M an der Theke gestanden! Gut nur, dass es das M noch gibt. Immerhin ist hier von den achtziger Jahren keine Spur mehr, selbst die ewigen Stammkunden (M-People!) sind verschwunden.

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