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Kultur: Dschungels Bücher

Eine

von Caroline Fetscher

Es ereignete sich 1950. Ein Jahr lang war Deutschland mit der Demokratie verheiratet, da tauchte das Taschenbuch in der neuen Wohnung auf. Genauer: das rororoBuch. Klein war es, leicht, handlich, billig. Noch hatte sich das Wirtschaftswunder nicht voll entfaltet, entsprechend wenige Groschen trug das Volk in den Taschen. Umso lieber steckte es Bücher hinein. Hans Falladas Frage, mit der sich der erste Rotationsroman am 17. Juni, heute vor 55 Jahren, auf dem Markt meldete, lud zur Identifikation ein: „Kleiner Mann, was nun?“ Passend dazu erschien als Nummer Zwei „Am Abgrund des Lebens“, verfasst vom großen Graham Greene, dann Kiplings „Dschungelbuch“. Die kleinen Männer und Frauen aber, gestaucht von den Lasten der Vergangenheit, ebenso hungrig nach Bildern und Symbolen aus anderen Welten wie nach Kartoffeln und Brot, beantworteten Falladas Frage millionenfach an den Kassen der Buchläden. Ja, was nun? Na, ein Buch. Und noch eins und noch eins.

Tucholsky. Musil. Beckett. Sartre. Camus. Dürrenmatt. 1954 besiedelten zehn Millionen rororo-Bücher die Regale deutscher Wohnzimmer. Autoren, die der Nationalsozialismus erstickt hatte, konnten wieder atmen. Wie nahezu alle grandiosen Ideen des Wiederaufbaus kam auch die des Paperbacks – woher? Aus den USA. Denn das demokratische „McBook“ war eine Entdeckung des Hamburger Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt auf einer Amerikareise – und der deutsche Buchmarkt war revolutioniert. Während die deutschen Druckwalzen rotierten, wanderten die Bücher von Hand zu Hand, in einer parallelen Rotation. 600 Millionen rororo-Bände sind seit damals erschienen. Heute machen Taschenbücher 25 Prozent des deutschen Buchumsatzes aus. Was mit dem Dschungelbuch begann, wuchs sich zum wuchernden Buchdschungel aus. Mit ihm konkurriert nur das Fernsehen.

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