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Kultur: Du gibst mir das Gefühl, eine Frau zu sein

Der intimste Moment des kurzen Abends ist der Auftritt des Märchenerzählers. Es wird ruhig im Zelt.

Der intimste Moment des kurzen Abends ist der Auftritt des Märchenerzählers. Es wird ruhig im Zelt. Die aufgekratzte Stimmungsmache ist wie weggeblasen. Auf die Plane prasselt erster Frühlingsregen. Das Auditorium der versammelten Eitelkeiten spitzt die Ohren. Otto Sander (krumm gescheitelt) liest gemächlich, im Wohllaut mehrdeutiger Vokabeln genüsslich verharrend, eine Geschichte von Frustration und Rohkost, von Schönheit, Verrat und Leidenschaft, von der Macht der Frisuren. "Da erschrak der Mann und fragte: Was fehlt dir, liebe Frau?" Seine Grimmschen Dialoge klingen wie herausgestanzt aus dem Seifenreigen der Beziehungsliteratur. "Holst du mir von dem Rapunzel! Es koste, was es wolle." Gelächter im Raum echot zaghaft, Assoziationen kreisen. Das "große Gelüste" der Frau auf geraubten Salat führt zur Schwangerschaft. Die Leibesfrucht wächst heran zum "schönsten Kind unter der Sonne". Zur Strafe für Vergehen der Eltern wird Fräulein Rapunzel in den Turm der Zauberin gesperrt, welche am 20 Ellen herabfließenden Blondhaar der Gefangenen regelmäßig heraufklettert; wie jener Prinz, welchen zarter Gesang - "so lieblich, dass er still blieb und horchte" - herbeigelockt hat. Als die Affäre auffliegt, fallen der Liebesleiter "schöne Flechten ritsch ratsch" zur Erde. Das Publikum flüchtet, verstört von der poetischen Naivität, in ironische Kiekser. Als der geblendete Prinz durch Rapunzels Tränen das Augenlicht wiedererlangt, schwillt die distanzierende Albernheit an: Soviel Intimität hält selbst ein Friseursalon nicht aus.

Tout Westberlin hatte Einlass begehrt zur als Revue deklarierten Buchvorstellung des Figarofürsten Udo Walz in der Bar jeder Vernunft, dreißig Fans müssen im Psychocrash des Statusverlustes vor der Tür bleiben. Drinnen dokumentieren acht Kamerateams den Ringelpiez der Westfamilie. Im Gegensatz zu den Ostfrauen, die - wie Monika Maron jüngst bekannte - keine Frisuren, sondern Haare haben, zählt an diesem Ort die Formung der Oberfläche. Variationen der Frauenvollglatze, Halbglatze mit Zopf, die rotgefärbte Unfrisur und die gemeine Brünettwelle sind angesagt. Dazwischen rauchen teiggesichtige Jünglinge Zigarillos. Tussis und Torten, Macker und Muffelköppe spreizen sich unter der Trockenhaube Haarspray-Athens. Auf der Bühne der zickig-kölsche Moderator Ralph Morgenstern verhüllt seine Platte mit Kappe. Der Pferdeschwanz des Pianisten tendiert zum Dutt. Ein Musicalstarlet (Dutt) singt rührend "You make me feel like a natural woman": Das öffnet die Herzen der Walz-Gemeinde. Die Schauspielerin Eleonore Weissgerber (Brünettwelle, Federboa nature) massakriert das Chanson von dem Neandertaler, "den ich kämmen kann auf seinem Schulterblatt". Frisierdekaden auf Modellhäuptern walzen, musikalisch und gestylt, über die Bretter: die 60er zu "Venus" mit Vogelnest und Banane; die 70er im Afrolook mit "Waterloo"; die 80er hochgesteckt mit "Relax"; die 90er im Vidal-Sassoon-Design mit den Village People. Sabine Christiansen gratuliert frischgefönt. Meister Walz (Stoppeln) und Angelika Milster (zurückgegelt) bauen um die Wette Haarteile ein auf Mädelhäuptern. Der Gefeierte ist der netteste Protagonist in dieser Gummizelle der triefenden Nettigkeiten.

Er, der Scherer, der verletzen könnte, ist charmant direkt. Männer haben Angst vor dem Friseur, Frauen vor der Frisur. Auch der Verfasser dieser Zeilen pflegt ein Friseurtrauma, welches daher rührt, dass er als Kleinkind durch Herrn Blesken, Figaro und westfälischer Feuerwehrmann, beim kleinstädtischen Hausbrand die Leiter heruntergetragen wurde. Walz ist kein Brandmeister, aber eine Institution. Er verwandelt seine Öffentlichkeit in einen Streichelzoo: Die Kundin fühlt sich gemeint. Er steht auf Würde und Stil: ist böse, dass eine Zeitung ihn und den Designer Mooshammer "die zwei größten Schwuchteln Deutschlands" nannte. "Waschen, Schneiden, Leben" heißt sein Buch (Argon, 34 Mark). Zu Beginn behauptet er da, ihm sei alles "wurscht"; am Ende erzählt er vom tödlichen Verlust seiner großen Liebe. Soviel Wurstigkeit, soviel Intimität. Er wolle nichts mehr erreichen, sagt der Pfundskerl. Er genießt Vertrauen; die Peinlichkeit des selbstverliebten events entgeht ihm. Der Promipulk zuckelt, an Kameras vorbei, von dannen. Das Leben sei keine Generalprobe, hat Udo Walz mal hübsch formuliert. "Wenn Teenager träumen, große Damen zu sein", säuselt der Abspann. "Was fehlt dir, liebe Frau?" Die Grande Dame spielt Westberlin nicht mal im Spiegelzelt.

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