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Kultur: Du-mich-auch-AG

Gregor Dotzauer verteidigt das Unwort des Jahres Die Jury hat gesprochen, doch was sie gestern in Gestalt des Frankfurter Sprachwissenschaftlers Horst Dieter Schlosser mitteilen ließ, ist ein Unding. „Zum ,Unwort des Jahres’ 2002“, meldet der evangelische Pressedienst, „ist der Begriff IchAG aus dem Hartz-Papier gewählt worden.

Gregor Dotzauer verteidigt

das Unwort des Jahres

Die Jury hat gesprochen, doch was sie gestern in Gestalt des Frankfurter Sprachwissenschaftlers Horst Dieter Schlosser mitteilen ließ, ist ein Unding. „Zum ,Unwort des Jahres’ 2002“, meldet der evangelische Pressedienst, „ist der Begriff IchAG aus dem Hartz-Papier gewählt worden. Die Wortbildung leide sachlich unter lächerlicher Unlogik, da ein Individuum keine Aktiengesellschaft bilden könne. Selbst als ironisches Bild sei der Begriff nicht hinzunehmen, da sich die aktuelle Arbeitslosigkeit mit solcher Art von Humor kaum noch vertrage. Ausschlaggebend sei aber die Herabstufung von menschlichen Schicksalen auf ein sprachliches Börsenniveau.“ Unlogik? Humor? Herabstufung? Kinder, seid ihr moralisch! Über das erste könnte man noch streiten, weil selbst David Bowie nicht als Einzelperson an die Börse gegangen ist – wohl aber mit seinem persönlichen Image als Star. Von Humor war nie die Rede, und was die Herabsetzung betrifft, sollten Linguisten den beschreibenden Wert des Worts nicht gegen die Geißelung der von ihm bezeichneten Verhältnisse ausspielen. Und nicht einmal diese Verhältnisse werden in wirtschaftsliberalen Zeiten einhellig verurteilt: Was für die einen die Reduktion auf den homo oeconomicus ist, steht für andere als Ego-Shaping, Persönlichkeitsmarketing und die Suche nach dem unique selling point hoch im Kurs.

Der Begriff Ich-AG ist übrigens mindestens zwei Jahre älter als das Hartz-Papier, wenn es ihm – als Ermunterung an das neue Lumpenproletariat der ruinierten New Economy, Einpersonen-Unternehmen zu gründen – auch einen zweiten Frühling bescherte. Die Erfindung der (von einer PR-Beraterin als Marke eingetragenen) Ich-AG wird vom Hamburger Trendbüro und seinem Leiter Peter Wippermann für sich reklamiert. Das „Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel“ wäre sicher nicht auf ihn verfallen, wenn sich nicht Gerhard Schröder einmal zum „Vorstandsvorsitzenden der Deutschland AG“ erklärt hätte – ein Ausdruck von ebenso apokryphem Ursprung. Schon 2000 hatte Johannes Rau die Ich-AG warnend im rhetorischen Gepäck.

Der Bedeutungshof rund um die Ich-AG umfasst viele negativ konnotierte Wörter – an erster Stelle den Egoismus. (Als wäre die corporate governance der Deutschland AG ein besserer Garant für einen Gesellschaftsvertrag mit altruistisch aufgelegten Individuen.) Man muss aber nicht einmal Richard Herzingers polemisches „Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft“ unter dem Titel „Die Tyrannei des Gemeinsinns“ unterschreiben, um im Eigennutz einen Nutzen zu entdecken, der nicht zwangsläufig eine Dumich-auch-AG zur Folge hat.

Schon „Gotteskrieger“, das Unwort des Jahres 2001, war eine unglückliche Wahl. Kein Krieg dürfe in Gottes Namen geführt werden, hieß es damals zur Begründung. Es scheint außerhalb der Jury nur immer noch Leute zu geben, denen das egal ist. Ein Euphemismus, also eine zynische Beschönigung, wie die einst gekürten Formulierungen „ethnische Säuberung“, „national befreite Zone“ oder „Kollateralschaden“, ist die Ich-AG jedenfalls nicht. Das Unwort des Jahres – die zeitgemäße Formel für die Kunst, sich mit mehr Schein als Sein zu behaupten.

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