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Kultur: Du musst aus Stahl sein

Von Stiefeln, Vätern und anderem Marschgepäck: ein Gespräch mit der Sängerin und Pop-Ikone Nancy Sinatra

Nancy Sinatra, Sie sehen wunderbar aus. Was ist Ihr Geheimnis?

Ich trinke keine Cola. Das fällt mir zwar wirklich schwer, aber ich versuche mich zusammenzureißen.

Dabei ist gerade Cola Ausdruck jenes Lebensgefühls, für das Sie immer standen: Jugend, Sexyness, Unschuld.

Ja, wir waren harmlos. In den Sixties ging es vor allem um Mode, von Rebelchic sprach man erst später, als alles vorbei war. Ich verstand damals absolut nichts von Sexualität, war sehr naiv, was unbedingter Teil des Gesamteindrucks war. Meine Mode mit den kurzen Röcken und den hohen Stiefeln, die langen Haare und die dick getuschten Wimpern, all das fand ich süß und lustig, ein bisschen gewagt vielleicht, aber das Sexuelle darin sahen nur die anderen. Die Karriere von Brigitte Bardot basierte im Grunde auf den gleichen Prinzipien: die Kindfrau, die süße Unschuld.

Und doch drohen Sie in Ihrem größten Hit „These Boots Are Made For Walkin’“ damit, dass Ihre Stiefel alle über den Haufen rennen werden. Das klingt sehr gefährlich.

So gefährlich, dass die Soldaten in Vietnam nicht nur Bilder von mir im Spint hatten, sondern den Song zu ihrer Marschhymne erklärten. Aus meiner Sicht war es ein reiner Spaß.

Was heute wie Avantgarde erscheint: Sie verkörperten die starke, begehrenswerte Frau, die sich nicht überrollen lässt.

So sehen es die Frauen, aber die Männer sahen es wirklich nur als Spaß.

Ob Madonna oder PJ Harvey, für die heutige Generation selbstbestimmter Musikerinnen sind Sie ein Vorbild.

Das ist sehr schmeichelhaft. Aber am Ende sage ich immer: Im Vergleich mit anderen ist doch das Beste an mir die Tatsache, als Frank Sinatras Tochter geboren worden zu sein. Kommerziell bin ich ein Misserfolg.

Was kann man Größeres erreichen, als für andere ein Vorbild zu sein, ja eine Ikone?

Ich beklage mich auch nicht. Nur wenn ich sehe, was für Summen heute verdient werden, dann muss ich einfach etwas falsch gemacht haben. Ich wünschte mir nur, es wäre mehr Ehrlichkeit im Spiel. In Rollen und Songs verkauft man ja nicht Staubsauger, sondern sich selber. Und wenn du nicht deine wirkliche Person verkaufst, dann wissen die Leute nicht, was sie da erleben. Ich komme aus einer bestimmten Generation von Performern, und sowohl mein Vater als auch Dean Martin und Sammy Davis Jr. waren sie selber. Ich wünschte, die jungen Menschen heute würden es ebenso sehen, und es gibt auch einige, die von ihrer persönlichen Wahrheit ausgehen. Avril Lavigne oder Sheryl Crow fallen mir ein, sie kommen vom Herzen und haben genug Intelligenz, es zu untermauern. Und das ist kein Widerspruch zu Unterhaltung. Meine Empfehlung: Lass das Publikum die Wahrheit wissen, lass sie sehen, wie du wirklich bist.

Was empfinden Sie für die Erfolgreichen von heute, denen Sie die Tür geöffnet haben?

Einerseits ist es schmeichelhaft, Gutes bewirkt zu haben. Aber es macht mir auch Angst. Ich erlebe junge Frauen, die zu mir kommen und sagen: Sie sind der Grund, warum ich ins Showgeschäft wollte. Aber was ist, wenn sie dort unglücklich werden? 18 Jahre alt, jünger als meine Kinder – das ist eine große Verantwortung. Das Letzte, was ich sein möchte, ist der Grund für das Unglück anderer. Und glauben Sie mir, dieses Geschäft kann eine Menge Verzweiflung auslösen, wenn du nicht stark genug bist. Man muss aus Stahl sein. Als ich in den Sechzigern berühmt wurde, waren die schwarzen Frauen in den USA lange vor mir da. Ruth Brown, LaVern Baker, Darlene Love, The Ronettes, The Crystals waren stark und sexy. Sie sangen: „My boyfriend’s back and you’re gonna be in trouble“ oder „He’s a rebel“. So was halt. Im Grunde habe ich einen Respekt bekommen, den ich nicht wirklich verdiente, denn ich war ja nicht die Erste. Ich war eben nur eine Weiße.

Stimmt es, dass Ihre Stimme bei den frühen Studioaufnahmen verändert wurde, um dunkler zu klingen?

Ich weiß nicht mehr, welche Songs es waren, aber ich sang sehr hoch, ähnlich wie Annette Funicello, die es damals vormachte. Erst nachdem ich aufhörte, Bubblegum-Musik zu machen, und Standards wie „True Love“ von Cole Porter sang, mit einem Rockbeat, machte das die Stimme automatisch dunkler. Als Lee Hazlewood, mein Produzent, dazustieß, gab er meiner Stimme einen Kick. Er schrieb Songs für das Zentrum meiner Spannweite, ich musste also weder hoch noch tief singen. Es war fast Sprechgesang, ich glaube, ich habe sogar hier und da tatsächlich gesprochen, anstatt zu singen.

Wann immer Lee Hazlewood zu der gemeinsamen Zeit befragt wird, stellt er sie als gutes Geschäft dar. Gleichwohl erweckten Sie als Gesangspaar den Anschein, als würde es zwischen Ihnen nicht zu knapp knistern. Haben Sie sich benutzt gefühlt?

Man sollte sich nicht täuschen lassen von diesem Gehabe. Lee Hazlewood ist ein brillanter Mann. Er ist weder ein Landei noch ein dummer Cowboy, auch wenn er gerne den gegenteiligen Eindruck vermittelt. Vorletztes Jahr haben wir zusammen in Nashville aufgenommen, eine großartige Zeit. Das hatte absolut nichts mit Geld zu tun, nicht einen Dime verdienen wir daran.

Lustig ist, dass der „Boots“-Song ursprünglich von ihm gesungen wurde. Aber dann kamen Sie und sagten: Wenn ein Mann diesen Song singt, ist er böse. Wenn ein Mädchen es tut, ist er reizend.

Ja, stellen Sie sich das doch mal vor: Ein Mann singt von den Stiefeln, die dich eines Tages platt machen werden – das ist doch beleidigend.

Bis Mitte der Neunzigerjahre hatten Sie sich ganz zurückgezogen aus dem Showgeschäft. Was war geschehen?

Mein Mann starb 1985, und das brachte alles zum Erliegen. Ich habe eigentlich immer gearbeitet, auch wenn es nicht viel von mir zu hören gab. Nach dem Tod meines Mannes wollte ich mich stärker um meine beiden Kinder kümmern, sie waren so traurig, und mit neun und elf Jahren viel zu jung, um ohne Vater zu sein.

Das Business hat sich verändert, Frauen müssen mehr Tänzerin als Sängerin sein. Wie haben Sie Ihren Platz gefunden?

Zunächst war ich vor allem schockiert, was mit dem Radio passiert ist. Es ist quasi weg. Es gibt keine Möglichkeit für junge Leute, ihre Musik ausgestrahlt zu bekommen. Als ich anfing, gab es die „Ed Sullivan Show“, die „Smother Brothers“ oder die „Glen Campbell Show“. Ein Auftritt bei Ed Sullivan, und man war in den Charts. Wer heute nicht over the top ist, hat keine Chance.

Haben Sie deshalb im Alter von 54 Jahren für den „Playboy“ posiert?

Aber sicher. Als ich das machte, wollte ich sagen: Hey, mich gibt es wirklich, ich bin da, würdet ihr bitte zuhören. Natürlich haben sie nicht zugehört, aber es sind ein paar Jobs dabei herausgesprungen. Ein billiger Weg, zugegeben. Die Kids heute – die meisten von ihnen sind doch absoluter Durchschnitt, kleine Kekse, die ein Raster durchgelassen hat. Das ist so traurig. Ich frage mich, wissen sie eigentlich, was Sexualität überhaupt ist? Sie machen alle diese aufgeheizten Bewegungen. Alles, was an ihnen kreativ ist oder sein könnte, wird durch den Drill zerstört, wie ein Sexsymbol aussehen zu müssen. Wenn sie Glück haben, werden sie sehr reich. Und ich hoffe, sie legen das Geld gut an.

Nun erleben Sie ein kleines Comeback. Zahlreiche Musiker, unter ihnen U2 und Morrissey, haben sich darum gerissen, mit Ihnen arbeiten zu dürfen.

Meine Tochter, die das Album zusammen mit ihrem Mann produziert hat, liegt mir seit vielen Jahren mit einem solchen Projekt in den Ohren. Ich kannte Musiker wie Thurston Moore und Jon Spencer, aber ich hatte keine Vorstellung davon, dass sie Songs für mich schreiben würden. Das neue Album deckt im Grunde alle Aspekte meiner Person ab. Calexico steht für den märchenhaften, Thurston Moore für den starken, zickigen Teil, und Jarvis Cocker von Pulp hat den Geradeheraus-Nancy-Style getroffen, er kam mir von allen am nächsten.

Das Gespräch führte Christine Heise.

Seit Nancy Sinatra 1966 der Welt den Song „These Boots Are Made For Walkin’“ schenkte, gilt die älteste Tochter Frank Sinatras (1915–1998, Foto oben) nicht nur als Stilikone und Sexsymbol, sondern auch als Vorreiterin der weiblichen Stars von heute. Noch immer ist sie stolz auf den Cowboysong, der sie an die Spitze der Charts brachte und bis heute in den Radios läuft. In dem Film „Die wilden Engel“ spielte sie 1966 an der Seite von Peter Fonda (kl. Foto, unten). Mittlerweile ist Nancy Sinatra 64 Jahre und feiert dank der Hilfe von Musikern wie Pete Yorn, Jarvis Cocker, Calexico, Morrissey, U2 ein Comeback. Auch Quentin Tarantino hat sie wiederentdeckt: „Bang, Bang (My Baby Shot Me down)“ gehört zum Soundtrack von „Kill Bill 2“ . Ihr neues Album heißt schlicht „Nancy Sinatra“. Am Sonntag, 24. April, tritt sie im RBB-Sendesaa l in Berlin auf.

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