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Kultur: Du sollst dir ein Bild machen

Die Farben der Erinnerung: zum zehnten Todestag des polnischen Filmregisseurs Krzysztof Kiéslowski

Man hätte sich langsam auf seinen 65. Geburtstag vorbereitet, der am 27. Juni diesen Jahres gewesen wäre. Oder entschieden, wie so oft: 65 ist zu früh, wir feiern erst den 70. Geburtstag. Dass stattdessen heute der 10. Todestag ansteht: schrecklich. Und noch schrecklicher, dass es einem noch viel länger her vorkommt. Er wurde ja nur 55 Jahre alt.

Krzysztof Kiéslowski, das war auch, mit seiner letzten, gefeierten Film-Trilogie „Drei Farben: Blau, Weiß, Rot“, die Wende-Euphorie nach ’89. Die Hoffnung eines noch einmal jungen, neuen Europas, zusammenwachsend zwischen Paris und Warschau, Krakau und Genf. Eine Hoffnung, die beschworen wurde mit den Idealen der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, und besungen mit einer schwer erträglichen Europa-Hymne (Musik, wie oft bei Kiéslowski: Zbigniew Preisner).

Schon zwölf Jahre später, als dann endlich ernst wurde mit diesem neuen Europa, als Polen und die anderen östlichen Nachbarländer als EU-Mitglieder plötzlich offen, nah, erreichbar wurden, mochte das Pathos einer Europa-Hymne niemand mehr reizen. Und auch Kiéslowskis Filmbeschwörung, einst so erfolgreich beim Publikum, klingt im Rückblick irgendwie falsch, süßlich fast: zu konstruiert, um authentisch zu scheinen, zu raunend, um zu uns zu sprechen. Angesagt waren plötzlich eher die Dokumentationen eines Volker Koepp, die neuen polnischen, ungarischen, estnischen Filme, die mehr grobe Realität, weniger Hoffnung jedoch verbreiteten.

Der Blick geht, wenn überhaupt, weiter zurück in Kiéslowskis Oeuvre – und ist dann plötzlich wieder ganz nah. Die frühen Filme wie „Der Amateur“ oder „Der Zufall, möglicherweise“, entstanden unter Zensur und Einschränkung, zeigen ein Polen, das uns so fern nicht scheint: das trostlose Leben in den Plattenbau-Silos, die endlosen Landstraßen, die schäbigen Märkte und schrottigen Autos. Und diese Menschen, diese kleinen Wichte, die so vorsichtig und ungelenk miteinander umgehen, sich auf Distanz halten, beobachten, belauern – und aus denen doch so viel Sehnsucht spricht.

Das gilt, vor allem, natürlich für die Dekalog-Filme, jene legendäre zehnteilige Fernsehserie, die Johan Simons zuletzt 2005 in München auf die Bühne der Kammerspiele gewuchtet hat. Und hier, mehr denn je, für jene beiden Teile, mit denen Kiéslowski der Durchbruch im Westen gelang: „Ein kurzer Film über die Liebe“, der kein Film über die Liebe ist, sondern über das Verfehlen der Liebe und die unendlich traurige Einsamkeit, die daraus folgt. Und „Ein kurzer Film über das Töten“, jene furiose Parallelmontage aus Mord, Verteidigung und Hinrichtung, die man noch heute, mit seinen kargen 85 Minuten, kaum aushält vor lauter maschinenhaft ablaufender Grausamkeit. Liefe dieser Film noch einmal, wie 1988, auf dem Filmfestival von Cannes, er würde diesmal die Goldene Palme gewinnen. Und alles, was danach kam, Lars von Triers „Dancer in the Dark“ wie Tim Robbins’ „Dead Man Walking“, reicht nicht heran an die Wucht, mit der hier Todesstrafe als Verbrechen vorgeführt wird.

Vielleicht ist der Punkt, der den Umgang mit Kiéslowskis Filmen bis heute so schwierig, so unbequem macht: die Scheu vor den großen Themen. Kiéslowski selbst, ohnehin ein Interview-Verweigerer, hat sich immer dagegen verwahrt, moralische Botschaften übermitteln zu wollen, auch wenn er mit Wajda und Zanussi als Vertreter der „moralischen Unruhe“ im jungen polnischen Kino gehandelt wurde. Und hat doch solchen Deutungen immer wieder Vorschub geleistet, mit seinem Hang zu den Mythen der Menschheit: die Zehn Gebote des Alten Testaments („Dekalog“), die Ideale der französischen Revolution, eingebunden in die Farben der Tricolore Blau, Weiß, Rot, oder zuletzt Dantes Himmelsordnung mit Hölle, Purgatorium und Paradies, eine neue Trilogie, an der Kiéslowski bis zu seinem Tod gearbeitet hat. Ein Treatment davon, „Heaven“, hat der deutsche Regisseur Tom Tykwer 2002 eher unglücklich in Szene gesetzt, und noch einmal erlebt, wie schnell man beim Kitsch landet mit diesen Geschichten von Schuld, Vergeltung und Sühne.

Gern also schaut man inzwischen auf die frühen Arbeiten zurück, auf die Dokumentationen und Kurzfilme aus den Straßen von Lodz, auf diese Bilder von Kindern und Alten und gewöhnlichen Menschen, denen der Regisseur so unauffällig nah gekommen ist. Und übersieht, dass das freundliche, zurückhaltende, ja misstrauische Beobachten immer im Zentrum steht, beim jungen Postboten, der in „Ein kurzer Film über die Liebe“ seine Nachbarin mit dem Fernrohr beobachtet, dem Marionettenspieler, der eine Spur von Zeichen durch das Leben Veronikas legt, oder zuletzt dem alten misanthropischen Richter, der in „Drei Farben: Rot“ die Telefongespräche seiner Nachbarn abhört. Was sie durch ihre Objektive, Kameras oder Leitungen sehen und hören, hat sich doch nicht so sehr verändert in den letzten zehn Jahren. Man wird es auch bei Kiéslowski wiederentdecken.

Christina Tilmann

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