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Kultur: Dunkel war’s, der Bär schien helle . . .

Lampenfieber: Der verhinderte Bayreuth-Regisseur Lars von Trier stellt sein Konzept für Wagners „Ring“ ins Internet

Ein Zweiglein „mit zarten Knospen“ wiegt sich im Wind; Jäger mit Fackeln jagen „in wildem Ritt“ einen Abhang hinunter, welke Blätter wirbeln auf; aus einem „Holzrohr zwischen Ampferblättern“ rieselt ein Quell, der Mond lugt zwischen „dünnen Wolken“ hervor, ein Mann sinkt vorm Herd auf ein „Bärenfell“ (!), eine Frau füllt ein „Trinkhorn“ mit Met, reicht es dem Erschöpften. Und schwarze Nebel wallen, Geysire schäumen, Moose flüstern, ein Vulkan bricht aus. Was die mythische Natur eben so hergibt an Schauerlichkeit und konzentrierter Naivität.

Wohin wir uns hier verirrt haben? Keineswegs in den neuesten Neandertaler- Werbespot der ARD-Sportschau („Männer waren schon immer so“) und auch nicht ins Fantasy-Kino. Sondern, huch, in Wagners „Walküre“. Siegmund und Sieglinde, das Wälsungen-Geschwisterpaar, in Erwartung seiner inzestuösen Liebesnacht, aus der eine Oper später dann Siegfried entspringt, der Weltenstürmer und Held des Untergangs. Allerdings lesen sich nicht etwa die Originalanweisungen so (die mit naturalistischen Detailpusseligkeiten wahrlich nicht geizen!), sondern Lars von Triers Regiebücher zum „Ring“. Zwei davon – „Walküre“ und „Siegfried“ – hat der dänische Filmemacher nun auf seiner Homepage öffentlich gemacht (www.zentropa.dk/links). Auf dass die Wagnerwelt sich davon überzeuge, was ihr entgangen ist.

Zur Erinnerung: Eigentlich sollte der Däne diesen Sommer an der Seite von Christian Thielemann den neuen Bayreuther „Ring“ aus der Taufe heben. Nach Heiner Müller, Christoph Schlingensief und Christoph Marthaler vielleicht der größte Coup von Hügelchef Wolfgang Wagner in Sachen „Wie-distanziere-ich- mich-von-den-Feuilletonlieblingen-der- Musiktheaterregie-und-stopfe-allen-Kritikern-spektakulär-die-Mäuler“. Eine einsame Nacht verbrachte von Trier zu Inspirationszwecken im leeren Festspielhaus, monatelang meditierte er vor dicht gepflasterten Gesamtkunstwerks-Pinnwänden. Dann, im Frühjahr 2004, die Absage. Er habe sich an der Tetralogie verhoben, so der Regisseur in einer an sich schon grandiosen „Abtretungsurkunde“, technisch und finanziell sei seine Idee, Wagner in einer Aura der „bereicherten Dunkelheit“ zu spielen, ein Ding der Unmöglichkeit. Schade. Schade?

Ein Desaster für die Festspiele. Entsprechend hysterisch reagierte man angesichts der Kürze der Zeit: Statt zu prüfen, ob von Triers Konzept (das moderne Filmtechniken, Videoprojektionen und Elemente professioneller amerikanischer Zaubershows erfordert hätte) nicht wenigstens in Teilen realisierbar gewesen wäre, für ein oder zwei Stücke, suchte man lieber einen Ersatz fürs Ganze. Mit diesem, dem 80-jährigen Dramatiker Tankred Dorst, ist Wolfgang Wagner jetzt gewaltig auf die Nase gefallen ( zuletzt Tsp. vom 2.8.2006). Ob der Triersche „Ring“ die theatralischen Erwartungen opulenter erfüllt, stärker konterkariert, mutwilliger enttäuscht hätte?

Man muss vorsichtig sein: Papier (und nichts anderes war ja im Fall Dorst zu beobachten!) ist geduldig. Behaupten lässt sich in der Oper alles – nur der Weg auf die Bühne nicht. Genau daran weiden sich von Triers „Walküren“- und „Siegfried- Notate nun. Verlaufsprotokollartig, taktweise, 54 manisch-akribisch beschriftete Seiten. Die Werktreue in ihrer Wortwörtlichkeit: ein Bergwerksstollen für den ersten „Siegfried“- Akt, Fafners Drachenkopf mit „gebleckten Zähnen“ und „hechelnder Zunge“ im zweiten, sein „böses“ Reptilienauge, die blutig sich ausstülpenden Innereien im Tod. Wagner, sagt von Trier, müsse gefühlsmäßig erlebt werden. Keine inszenatorischen Vorurteile (wie Aktentaschen oder Hakenkreuze), keine Zufälligkeiten. Und keine Psychologie, keine Personenregie? Das, mit Verlaub, gab’s bei Dorst auch.

Was fasziniert, ist von Triers Choreografie des Lichts. Blenden, Schnitte, Videos, Zooms, Bewegungen an der Bildkante, Spots, Lichtkegel, Blitze, alles utopisch. Und große, durstige Dunkelheiten. Als tauchten Wagners Figuren nur gelegentlich aus ihrer mythischen Versunkenheit und Tiefe auf. Viel Raum für Musik. Und für Kitsch. Brünnhilde und Siegfried, vor einer Lava-Wand der Leidenschaft durchs Wasser watend; eine Wiese mit äsenden Rehen. Man weiß nicht recht warum, aber in seiner obszönen Direktheit liest sich das fast schon wieder geheimnisvoll. Und also ist es doch jammerschade, dass es nicht dazu kam. Weil letztlich nicht Lars von Trier Wagner deutet, sondern Wagner Lars von Trier. „Siegmund zieht das Schwert aus dem Baumstamm und fickt Sieglinde gegen den Baum. Indem er dies tut, zittert der ganze Baum … wir panoramieren weg von den beiden zum großen Ast … wir enden bei dem ersten Zweig, den wir am Anfang des Aufzugs im Winde sahen. Nun direkt vor dem Mond (Video). Er zittert lange, dann kommt er zur Ruhe. Licht von allem aus. Ende des Aufzugs.“

Christine Lemke-Matwey

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