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Jeder fällt mal. Nikes Werbespot „Never too far down“.

© Youtube

Durchhalteparolen mit Sportstars: Auch in der Coronakrise ist sich die Werbung für nichts zu schade

Firmen wie Nike bringen ihre ersten Corona-Werbespots raus. Setzen Sie sich besser: Es wird deep.

Ein Symptom der Krise scheint zu sein, dass Menschen ihre Fähigkeit zur Einschätzung simpelster Situationen verlieren. Meist sind es Männer, die sich im öffentlichen Raum aufführen, als gäbe es einen Preis für den, der die am lautesten vorgetragene, realitätsfernste Interpretation der Gegenwart liefert.

Gleich danach im Ranking der Realitätsferne kommen die Unternehmen. Sportartikel-Hersteller, um genauer zu sein. Da ist Adidas, die zu Beginn der Krise dachten, dass Mieten für ein großes Unternehmen eher optional seien. Inzwischen hat Nike nachgezogen. Jüngst veröffentlichte das Unternehmen den neuen Werbespot „Never too far down“ unter dem Hashtag #YouCantStopUs - ein Meisterwerk der profitorientierten Instinktlosigkeit.

Dass es deep wird, kündigt sich schon am Anfang des Spots an. Getragen soliert sich ein Piano in Richtung „Life on Mars“ von David Bowie, darüber schiebt sich die Stimme des Basketball-Stars LeBron James. „Wir wurden alle schon mal unterschätzt und ausgezählt. In diesen Momenten fühlte es sich an, als wäre alles verloren“, philosophiert er ins Mikrofon.

Im Bild verlieren Menschen beim Sport. Klar, nicht irgendwelche Menschen: Stars wie Serena Williams, Tiger Woods, Cristiano Ronaldo und James selbst.

Traurige Gesichter, hängende Schultern – das ganze Programm des sportlichen Misserfolgs.

Dann aber steigert sich das Piano-Solo, und (Überraschung!) das Schicksal der Sportler wendet sich. Cristiano gewinnt und jubelt, Serena gewinnt und jubelt, und wäre der Song keine Instrumentalversion, würde David Bowie jetzt „Saaaaailooooors fighting in the dancehall“ singen.

Bezug zur Wirklichkeit verloren

Über all dem fabuliert LeBron James weiter: „Wir haben das Unmögliche gemeistert. Die größten Tiefschläge. Wir haben einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit gefunden.“ Gänsehautgefühl-Level: Obama vor der Siegessäule.

Dann spricht LeBron James zur Sicherheit aus, dass es jetzt gerade um mehr als um Pokale und Meistertitel gehe. Verlieren und gewinnen als gewitzte Metapher für die Coronakrise? Keine gute Idee.

Wer in diesen Tagen „Wir sind an eurer Seite“ sagen will, und das Leid millionenschwerer Sportler beim Verlieren zeigt, der beweist, dass er den Bezug zur Wirklichkeit verloren hat. Zum Beispiel die Wirklichkeit der über 30 Millionen Amerikaner, die keinen Job mehr haben. Im Sport zu verlieren ist keine Katastrophe, die völlig ungeplant über einen hereinbricht – eine Pandemie mit Hunderttausenden Todesopfern schon.

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Und Nike ist nicht der einzige Akteur, der sich gerade an Corona-Werbespots versucht. Im dritten Monat der Krise macht jede zweite Marke mit Durchhalteparolen auf sich aufmerksam, die klingen, als hätte sich Churchill vor seiner „We Shall Fight on the Beaches“-Rede ein bisschen zu viel Avocadotoast gegönnt. Unternehmen versuchen die Botschaft zu vermitteln, dass Marken auch nur Menschen wie du und ich sind. „We’re all in this together“ ist der Subtext. So lobt eine deutsche Supermarktkette Eltern dafür, wie toll sie das mit dem Homeoffice gerade hinbekommen.

Natürlich fühlt sich das kuschelig an, wenn jemand Anteil nimmt. Das darf es auch. Aber man sollte bloß nicht für eine Sekunde glauben, dass das „Keep calm and carry on“ am Ende irgendetwas anderes transportieren will als „Keep calm and carry on buying our stuff“. Gänsehautgefühl: Spätkapitalismus.

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