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Stilprägend ohne Nachahmer. Eberhard Weber.

© Roberto Masotti/ECM

Eberhard Weber: "Résumé": Schweben mit dem Kontrabass

Der Kontrabassist Eberhard Weber, soeben mit einem Sonderpreis des Landes Baden-Württemberg für sein Lebenswerk als Jazzmusiker ausgezeichnet, hat ein Erinnerungsbuch geschrieben.

Von Gregor Dotzauer

Jazz, erklärt er einmal, „ist, wenn es der Komponist, der Arrangeur oder der ausführende Musiker dem Hörer so schwer wie möglich macht, der Musik zu folgen – und trotzdem alle Spaß daran haben“. Der erste Teil dieser Definition schrammt hart am Jazzhassertum vorbei, und der zweite geht viel zu schnell darüber hinweg, was diese Musik an Spiritualität, herzzerreißender Innigkeit und sogar Pathos aufbringen kann. Vor allem trifft sie nicht einmal auf Eberhard Webers eigene Klangwelten zu, die zwischen seinen ECM-Alben unter eigenem Namen und den Aufnahmen mit dem United Jazz + Rock Ensemble oder mit Jan Garbarek durchaus eingängig sind, mit teils hohen elegischen Qualitäten, die über jedes Gutelauneprogramm hinausgehen.

Als Teil der 75-jährigen Lebensgeschichte, die der Kontrabassist in seinem Erinnerungsbuch „Résumé“ festhält und die ihn mit Weggefährten wie Wolfgang Dauner aus schwäbischen Amateurgefilden an die Spitze des europäischen Jazz führte, erzählen seine Äußerungen aber viel von den Kämpfen, die er im einstigen Jazzentwicklungsland Deutschland auszufechten hatte. Die Jungen von heute mögen ästhetisch unendlich beschlagener und perfekt ausgebildet sein – das Wunder ist, dass der Autodidakt Weber stilprägend wurde: Von Gary Burton bis zu Kate Bush wollten alle seinen schwebenden Ton auf dem für ihn eigens angefertigten, elektrifizierten Bass haben.

„Résumé“: die Bilanz eines erfüllten Musikerlebens

„Résumé“ zieht die Bilanz eines erfüllten Musikerlebens, das 1973 mit der Veröffentlichung des Albums „The Colours of Chloë“ in die Phase des Ruhms eintrat. Die kleine Sozialgeschichte des deutschen Jazz, die dabei unter der Hand entsteht, kommt jedoch nicht über die Bitternis hinweg, dass er seine Erfahrungen nur noch in Worte fassen kann: Seit einem Schlaganfall im Jahr 2007 kann Weber nicht mehr spielen.

Auf dem soeben erschienenen Album „Encore“ montiert er teils über 20 Jahre alte Soli mit neuen Keyboardklängen und Ack van Rooyens Flügelhorn zu Klangteppichen zusammen: die Imagination eines mental quicklebendigen Musikers aus dem Archiv.

Impressionen aus der Kaputtspielära des Free Jazz

Webers Erinnerungen, denen ein beherzterer Lektor noch etwas mehr Schliff und Dichte hätte verleihen können, überzeugen durch ihren sympathisch bescheidenen Ton, der harsche Urteile nicht ausschließt – und ein reiches Reservoir an Anekdoten. Der verstorbene Jazzpapst Joachim-Ernst Berendt etwa erscheint zwar als kombinationssicherer Produzent, aber auch als unmusikalischer, für den einzelnen Ton unempfindlicher Mann. Der amerikanische Saxofonist Charlie Mariano, internationaler Star von Webers Band Colours, wird als jemand gezeichnet, dem eben dies zu Kopf gestiegen ist.

Dazu kommen Impressionen aus der Kaputtspielära des Free Jazz und von den Wechselfällen reisender Jazzgesellen. Höhepunkt ist eine Lkw-Reise von Bombay nach Poona: Hinterher lacht man bekanntlich gerne.

Eberhard Weber: Résumé. Eine deutsche Jazz-Geschichte. sagas.edition, Stuttgart 2015. 252 Seiten, 19,99 €.

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