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Kultur: Echt? Bei mir genauso

Vier Frauen suchen einen Autor: Britta verabschieden sich mit „Lichtjahre voraus“ von Liebe, Lüge und Glück

Liebesbeschwerden, Zweisamkeitshölle, Beziehungskrieg. Oder es beschleicht einen ganz allgemein das Gefühl, dass alles andere, was in Ordnung sein müsste, einfach nicht in Ordnung ist. In diesem Zustand wurden schon oft hervorragende Platten gemacht. Jetzt ist das mit „Lichtjahre voraus“ der ehemaligen Lassie-Singerin Christiane Rösinger und Britta gelungen. Britta, das sind vier Frauen aus Berlin, die sich um eine lederne Sitzgruppe gruppieren und eine Rockband bilden. Energische Gitarren und Refrains so groß, dass sie in ein Stadion passen könnten, prallen auf Worte wie Säuglingspflege, Abtreibung, Auslandsaufenthalt und Bundesjugendspiele. Nicht eben sexy. Aber das weiß das Frauenquartett selbst: „Wir sind nicht bei Rock am Ring/ Und wir sind nicht bei Rock am See/ Wir wollen da gar nicht hin,/ Und es tut auch nicht mehr weh“, heißt es im Titelsong des Albums.

Warum soll man lange drum herumreden: Britta ist eine erwachsene Band. Hier spielen Frauen, die sich ihr Selbstverständnis nicht erst noch beim Zwölf-Uhr-Frühstück in Friedrichshainer Wohngemeinschaften errauchen müssen. Frauen, deren Leben weitergegangen ist, Frauen, die ein paar mehr Berliner Winter durchlebt haben und sich schon ein paar Jahre länger von Ex-Fastfreund zu Fast-Exfreund hangeln. Gleich das erste Lied, „Fragen“, ist das Destillat jahrelanger Date-Erfahrungen: „Was isst du gerne, wo kommst du her?/ Wie viele Geschwister, gibt’s da noch mehr?/ Deine letzte Freundin?/ Echt? Bei mir genauso,/ Macht mir überhaupt nichts/ Ich bin sogar froh“, später dann: „Wenn alles gefragt ist, alles gesagt ist,/ Ist alles getan/ Dann machen wir Schluss/ Und beim Nächsten/ Fängt’s wieder von vorne an.“ Wer je davor gewarnt wurde, Liebeslieder toll zu finden, weil die erstunken und erlogen seien, der wird sich in Brittas Welt zurechtfinden. Mit der hibbeligen Bissigkeit der Lassie Singers („Ich suche einen Riegel, der mir schmeckt“) hat das nur noch wenig zu tun.

Im Plattenladen sind Blumfeld und Britta durch nicht viel mehr als Phillip Boa, Billy Bragg und die Bright Eyes getrennt. Doch obwohl beide Bands auch gelegentlich gemeinsam auftreten, sprechen sie unterschiedliche Sprachen. Blumfelds Texte und Musik sind stets ein nach allen Seiten ausgreifendes Spiel mit Zitaten, Versatzstücken und Komplexitäten. Die Hamburger „Diskurspop“- Band mischt Lebensnähe mit stilisierter Verkopftheit. Texte von Britta sind dagegen nachdenklich, aber nie grüblerisch. Britta bleibt konkret, ihre Bilder und Gedanken gehen nie so weit, dass sie Theorie werden. Auch die Musik ist einheitlicher, weicher und außerdem – weiblicher. Britta rockt zwar, aber grölt nicht. Britta dröhnt nicht und lässt niemals die Verstärker heulen.

Natürlich hat Britta auch ihre aktuelle Platte selbst produziert und auf ihrem hauseigenen Label „Flittchen Records“ veröffentlicht. Der Klang des Albums hat dadurch dieselbe authentische Heimeligkeit bekommen wie der Vorgänger „Kollektion Gold“. Als hätte man die Musik bei den Musikerinnen im Wohnzimmer aufgenommen, besitzt „Lichtjahre voraus“ jene nonchalante Schrammeligkeit, die seit einigen Jahren Lo-Fi heißt. Keineswegs eine aufwendig produzierte Schrammeligkeit also, wie beispielsweise bei den Strokes, sondern eine unprätentiöse, im besten Sinne des Wortes selbst gemachte Schrammeligkeit, die so gut zu den verschroben schillernden Texten von Christiane Rösinger passt.

Eine zentrale Rolle nimmt die Pärchenlüge ein. Die beschäftigt Rösinger mindestens seit ihrer Zeit bei den Lassie Singers, als sie empört sang: „Pärchen müssen leider draußen bleiben.“ Heute klingt das abgeklärter: „Wir taten, was wir konnten/ Und es konnte doch nicht sein/ Es fängt mit L an und wir fielen darauf rein.“ Ausgerechnet „Wie ein Smith Song“ nennt sich das einzige Lied, das der Liebe etwas Positives abgewinnen kann: „Denn manchmal sind wir so wie ein Smith Song/ Manchmal wie Lou Reed, Perfect day/ Manchmal ein Musical und/ Manchmal auch gar nichts/ Aber was auch ist, es ist immer ok.“ So verneigt sich Britta vor den großen britischen Helden, und wie Tomte („Wilhelm, das war nichts“) oder Farin Urlaub („Und immer, wenn wir traurig waren ... dann hörten wir die Smiths“) kleidet sie ihre Ehrerbietung nicht in eine Coverversion, sondern in eine Hommage, die kaum mehr ist als eine Anspielung.

Ein Coverversion gibt es aber doch: „Wir müssen hier raus“ von Ton Steine Scherben. Dass sich die Siebzigerjahre-Hymne nahtlos in den Klang des Albums einfügt, zeigt, wo die musikalischen Wurzeln von Britta liegen. Wie Tränengasschwaden ziehen Erinnerungen vorbei, und man gerät dann doch ins Grübeln darüber, wie die Dinge einmal waren und warum um Himmels willen alles jetzt so anders gekommen ist.

Zum Glück gibt es auf „Lichtjahre voraus“ allerdings auch Lieder, die sich wie ein Angora-Pullover anfühlen – warm und flauschig: „Und wenn der feige Nieselregen auf mich fällt/ Und wenn der Ostwind wieder weht/ Wenn die alten grauen Nebel zu uns zieh’n/ Weiß ich, was ich an dir hab, Berlin.“ Der Schriftsteller David Wagner bestreitet den einzigen Gastauftritt auf dem sonst geschlossenen Album. Er schrieb eine seiner Erzählungen zu einem Liedtext um („Was alles fehlt“) und singt sogar. Es ist das letzte Lied und taugt vielleicht als Motto für diese wunderbare Platte: „Was alles fehlt“ – und der Rock, den man sich darauf macht.

Britta spielen am 4. September im Maria am Ufer, 21 Uhr 30.

Kristof Magnusson

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