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Im New York der Fünfziger. Edward Norton und Gugu Mbatha-Raw.

© Warner Bros.

Edward Norton als Detektiv mit Tourette: „Motherless Brooklyn“ knüpft an Film Noir-Klassiker an

Edward Nortons Herzensprojekt führt in das New York der Fünfziger. Der Hollywood-Star führte Regie und spielt die Hauptrolle: einen derangierten Schnüffler.

Von Andreas Busche

Wenn Lionel Essrog seinen mentalen Zustand beschreibt, findet er immer treffende Worte. Dann hat er einen „Anarchisten im Kopf“, der alles tut, um seine Gedankengänge zu sabotieren. Manchmal fühlt es sich auch an, als habe er „Glassplitter im Gehirn“.

Doch sobald er den Mund aufmacht, bricht die Sprache unkontrolliert aus ihm hervor. Dann beginnt er konvulsivisch zuckend zu assoziieren, bis die Worte einen Sinn ergeben. „Mein Kopf ist ein verdammtes Chaos“, meint Lionel, ganz Noir-Filmheld, aus dem Off.

Jonathan Lethems „Motherless Brooklyn“ war Ende der Neunziger ein phänomenales Romandebüt, zu gleichen Teilen Krimi, postmoderne Krankengeschichte und Heimatkunde – mit einem filmischen Gespür für Mise-en-Scène.

Und einem unmöglichen Helden: Lionel Essrog bewegte sich als unzuverlässiger Erzähler durch sein Brooklyn, konnte sich aber stets auf seine derangierte Wahrnehmung verlassen. Er blickte hinter die Fassaden der Stadt, erkannte geheime Verbindungen, die anderen verborgen blieben.

Der Roman war für eine Verfilmung prädestiniert. Edward Norton hat sich dieses Herzensprojekts früh angenommen, aber dann dauerte es noch mal zwanzig Jahre. Dass Norton jetzt Regie führt und zudem die Hauptrolle übernimmt, könnte man leicht als Eitelkeit missverstehen. „Rainman-Rollen“ wie Lionel (im Roman hat er Tourette, der Film spezifiziert seine Kondition nicht) sind sichere Oscar-Performances.

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Aber „Motherless Brooklyn“ ist bei allen Ambitionen ein bescheidener Film. Die Vorlage Lethems war – bevor er mit „Die Festung der Einsamkeit“ und „Chronic City“ die panoramische Gesellschaftserzählung meisterte – eine kleine Charakterstudie, der der Detektivplot lediglich als Form diente, um in den Kopf seiner Figur zu blicken. Während Lethem seine Vorbilder von Dashiell Hammett bis Mickey Spillane nur übers Eck anspielt, verlegt Norton die Geschichte direkt von der Gegenwart ins New York der Fünfziger.

Lionel arbeitet als Handlanger für den Privatdetektiv Frank Minna, dank Bruce Willis schon eher eine Hammett-Figur, der sich mit ein paar Gestalten angelegt hat, die für ihn eine Nummer zu groß sind.

Bei einem Routinejob kann er gerade noch mit ansehen, wie Frank in ein Auto gezerrt und in einer Seitenstraße erschossen wird. Die letzten Worte seines Mentors hallen in Lionels Kopf nach, ohne Sinn zu ergeben.

Und während die übrigen „Minna-Boys“ (darunter Bobby Cannavale), wie Lionel ehemalige Waisenkinder, die Frank unter seine Fittiche genommen hatte, das Geschäft des Schmalspurschnüfflers bereits unter sich aufteilen, versucht Lionel die Fäden der Geschichte und die in seinem Kopf zu sortieren.

Die Spur führt nach Harlem

Norton bezieht sich ebenfalls auf große Vorbilder, unter „Chinatown“ und „L.A. Confidential“ macht er es nicht. Der historische Film Noir war zuletzt nur noch ein Genre-Pastiche, im Gegensatz zum Western – immer noch die Meisterklasse für jeden ambitionierten Regisseur. Nortons „Motherless Brooklyn“ ist weniger ein topografisches Labyrinth als ein Puzzle aus ständig gegeneinander verschiebbaren Teilchen.

Eines dieser Puzzleteile ist Laura (Gugu Mbatha-Raw), die mit einer kämpferischen Stadträtin (Cherry Jones) gegen den Abriss der schwarzen Nachbarschaften in Brooklyn vorgeht. Der Film folgt Lionel über 144 Minuten auf seiner ziellosen Spurensuche, die ihn unter anderem in eine Sitzung im Rathaus führt, wo der Bauspekulant Moses Randolph (Alec Baldwin) die Strippen zieht, und in einen Jazzclub in Harlem.

Hier trifft Lionel auf Gleichgesinnte, einen schwarzen Musiker (Michael K. Williams) etwa, lose vom jungen Miles Davis inspiriert, der gerade den Übergang vom Post Bop zum Free Jazz erkundet.

„In deinem Kopf geht es zu wie in meinem“, sagt der „Trompeter“ zu ihm. „Manche Leute nennen es eine Begabung, aber es ist nur eine Störung im Gehirn.“ Der Film schlägt damit auch den Bogen zurück zur Literatur, die Gleichsetzung von „Krankheit“ und Free Jazz war schon in Ishmael Reeds „Mumbo Jumbo“ eine Metapher für Selbstermächtigung.

[Ab Donnerstag in den Kinos]

Es ist nur ein Beispiel dafür, wie klug Norton, der auch das Drehbuch geschrieben hat, Lethems Romanvorlage mit eigenen Ideen anreichert. Bei den Afroamerikanern, selbst Verstoßene, die Randolph tiefer nach Harlem und in die Bronx verdrängen will („across 110th street“), fühlt sich Lionel, genannt „Freakshow“, unter seinesgleichen.

Auch für Randolph gibt es ein historisches Vorbild, den Stadtplaner Robert Moses, der ab den Vierzigern die Segregation in New York vorantrieb.

Der stoische Lionel mit seinen Tics ist nur ein Rädchen im Getriebe der Macht, den Lauf der Geschichte wird er nicht aufhalten. Doch Randolph ahnt nicht einmal, mit wem er sich da anlegt. Frank Minna schien es zu wissen, er hatte einen schönen Spitznamen für Lionel. Er nannte ihn nur „Brooklyn“.

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