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Kultur: Eenie, meenie, mo!

Flirren, lärmen, spinnen: Die britische Indierockband Arctic Monkeys und ihr viertes Album

Der Leserbriefschreiber wusste es bereits vor Wochen, als seine Meinung im britischen Pop-Zentralorgan „New Musical Express“ (NME) an prominenter Stelle im Blatt veröffentlicht wurde: Allen Kritikern und Nörglern, die auf die ersten Proben aus dem neuen Arctic Monkeys Album „Suck It And See“ eher reserviert reagiert hatten, schleuderte er entgegen, die Band aus Sheffield sei kein geringeres Phänomen als es die Beatles einst waren. Vier erstklassige LPs und neun nicht weniger gute Singles in nur fünf Jahren ließen nicht einfach nur die faule Konkurrenz alt aussehen. Ein solcher Ausbruch an Kreativität, der sich auch noch millionenfach verkauft, gemahne doch zwangsläufig an die Beatlemania der Jahre ’62 bis ’65!

Sind dies zu vernachlässigende Gedanken eines irrsinnigen Fans, der seine Idole fanatisch verteidigt? Oder besitzt die Band um den – hier muss dieses große Wort fallen – Ausnahmekomponisten Alex Turner tatsächlich die klassischen Qualitäten wie die Überväter aus Liverpool? Turner und seine drei Mitspieler würden wohl, konfrontierte man sie mit dieser Idee, grinsend abwinken. Abwiegeln, den Ball flach halten, das gehört nicht nur zum Image der Lads aus Sheffield, das ist längst Teil einer Strategie, die lebenswichtig wurde. Denn der Tsunami des Erfolges, den das Arctic-Monkeys-Beben im Herbst 2005 auslöste, hätte schwächere Charaktere sofort unter sich begraben. Es war so schön, es war so wahnsinnig, es war Monkeymania.

Alex Turner, Jamie Cook, Andy Nicholson und Matt Helders, blutjunge Teenager, fanden sich 2002 in einem Vorort von Sheffield zusammen, machten die Ochsentour durch die Pubs ihrer Gegend und erspielten sich rasch eine beträchtliche Anhängerschaft. Alex Turner, Sohn einer Deutschlehrerin und eines Musiklehrers, schrieb präzise Geschichten, direkt aus dem von Hormonstürmen, Suff, Perspektivlosigkeit und Billigjobs bestimmten Leben nordenglischer Kids, die sich am Wochenende zu den hochoktanigen Hymnen der Arctic Monkeys besinnungslos tanzten und, wenn die Party draußen auf der Straße zu heftig weiterging, von der Polizei in die grüne Minna geprügelt wurden. Worüber man dann am Montag in der Schule stolz erzählen konnte.

Eine Handvoll dieser Depeschen landete im Internet und verbreitete sich rasend schnell. Noch ohne eine offizielle Platte auf dem Markt zu haben, spielte die Band im Sommer 2005 bereits vor tausenden Fans. Auch das britische Feuilleton feierte und verglich den rehäugigen Beau Turner mit einem anderen großen Dichter des englischen Pop, der 40 Jahre zuvor ähnliche Geschichten sang: Ray Davis von den Kinks. Turner aber ließ als einzigen Einfluss den sozialen Realismus des legendären Punk-Poeten John Cooper Clarke aus Manchester gelten, der sogar sehr freundliche Worte für den jungen Kollegen fand. Am 17. Oktober des Jahres erschien die erste Single der Arctic Monkeys „I Bet You Look Good On The Dancefloor“, die sofort auf den ersten Platz der britischen Charts schoss. Ein guter Erfolg, aber niemand konnte ahnen, dass drei Monate später mit der Veröffentlichung des vor Intensität, Ideen und Krach überkochenden Albums „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ der bereits kläglich dahinsiechenden Musikindustrie noch einmal Leben eingehaucht werden würde: Die Platte verkaufte sich schneller als jedes andere Debüt in der Geschichte der britischen Hitparade, wurde mehrfach mit Platin ausgezeichnet und zählt nach wie vor zu den besten Rockplatten der nuller Jahre.

Die Band machte in rasendem Tempo weiter, verlor zwischendurch ihren Bassisten Andy Nicholson, den Nick O’Malley ersetzte, und begegnete dem immensen Druck mit knallhartem Offensivspiel: der Angriff auf Amerika erfolgte und mit „Favourite Worst Nightmare“ 2007 ein Album, das mehr vom Gleichen präsentierte. 2009 erschien „Humbug“, ein wenig gelungenes Stoner-Rock-Experiment, das so gar nicht zu den drahtigen Jungs passen wollte, und zwischendurch mobilisierte Alex Turner noch Energie für das Projekt Last Shadow Puppets, einer Liebeserklärung an die John-Barry- und Roy- Budd-Soundtracks der Sixties.

In den letzten Wochen nun funkte die Band erste Signale aus dem neuen Werk – eben jene Tracks, die den Leserbriefschreiber zu seiner Beatles-Analogie inspirierten. Wie recht er haben könnte, lässt das Cover des Albums erahnen: Auf monochrom cremefarbenen Grund stehen allein die Worte „Suck It And See“ – was auf Deutsch etwa „erst mal abwarten“ bedeutet. Den Namen der Band findet man auf der Rückseite der Hülle. Es ist also nicht das Weiße, sondern das Creme-Album der Arctic Monkeys. Keine Doppel-LP, aber – wie das Großwerk der Meister – eine vor Ideen strotzende Song-Sammlung, die den Autor und Sänger Alex Turner von einer neuen Seite zeigt.

Die Stimme liegt tiefer, klingt wärmer. Er singt vielmehr, als dass er, wie einst, die Texte herausbellt. Das komme daher, sagt Turner, dass er nun viel zu Hause komponiere und dabei leise vor sich hinsumme. Im Studio müssten die Songs dann in andere Tonarten transponiert werden, weil er laut singend gar nicht so tief käme. Reportagen aus dem Pub- und Clubleben gibt es nicht mehr – die Musiker sind zwar noch jung, aber eben auch erwachsener geworden.

Der Kitchen-Sink-Realismus von einst ist weitgehend romantischen Liebesgedichten und Nonsens-Wortspielereien gewichen, die den britischen „Observer“ an den brillanten Blödsinn des John Lennon erinnerten, etwa wenn Turner in „Library Pictures“ singt: „Give me an eenie meenie mo/And an ip, dip, dogshit, rock ’n’ roll“. Die Musik zu Turners Gedichten ruft das ganze Indierockrepertoire der vergangenen 15 Jahre ab: perlende Post- Rock-Gitarrenarpeggios („She’s Thunderstorms“), klagenden Balladen wie von Oasis („Black Treacle“), neo-psychedelisches Flirren („All My Own Stunts“), Hymnen für den Glastonbury-Auftritt („The Hellcat Spangled Shalalala)“ und einmal noch den hysterischen Galopp der frühen Tage („Library Pictures“).

Im Interview mit dem „Observer“ hat Alex Turner gesagt, er habe gelernt, dass Komponieren ein Handwerk sei und er deshalb keine Angst mehr davor habe, ihm könne eines Tages nichts mehr einfallen. „Suck It And See“ ist inspiriertes großes Handwerk.

„Suck It And See“ von Arctic Monkeys erscheint bei Domino Records.

Andreas Müller

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