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Kultur: Ehesieg

Berlins neues Theater: große Eröffnung im Ballhaus Ost mit Anne Tismer als „Maria Braun“

Es sind schlechte Zeiten für das Theater in Berlin. Die Schaubühne klagt über Finanzschwund, die Boulevardbühnen vom Kurfürstendamm rufen für Montag zur Demo gegen eine drohende Schließung auf.

Es sind gute Zeiten für das Theater in der Hauptstadt. Drei Berliner Aufführungen sind zum Theatertreffen eingeladen, das sagt bei aller Skepsis gegenüber der Jury doch etwas über die Qualität der Theaterstadt Berlin. Und am Freitag hat das Ballhaus Ost in Prenzlauer Berg eröffnet, mit Anne Tismer: ein starker Auftakt.

Wie das alles zusammenpasst, das Gute und das Schlechte? Nun, Theater-Berlin ist in Bewegung. Vom Boulevard bis zum Off; dort sowieso. Aber die Ballhaus-Geschichte hat besonderen Charme und Drive. Tismer & Co. agieren ohne doppelten Boden. Ohne Fördermittel, ohne Anbindung an andere Institutionen. Das Projekt in der Pappelallee strahlt, man spürt es im ersten Augenblick, Risikofreude, Spiellust und fantasiereiche Kraft aus. Und das Publikum hat das neue Haus sofort angenommen. Denn es gibt nie genug Theater in Berlin. Und so ein Ort muss auch nicht für die Ewigkeit gebaut sein.

Sie fangen mit Fassbinder an. Der ja auch mal mit Theater angefangen hat, in München. Sie wagen sich an „Die Ehe der Maria Braun“ (1979), einen der großen Kinofilme von RWF zur deutschen Geschichte. Eine Geschichte aus der Nachkriegszeit, den Aufbaujahren. Uwe Moritz Eichler und Philipp Reuter führen Regie. Sie haben zusammen mit Anne Tismer, die sich nach Rollen und Freiheiten jenseits der „Nora“ und der Schaubühne sehnt, das Ballhaus Ost gegründet. Und diese erste Produktion ist ihr künstlerisches Statement: Sie erzählen die Liebesgeschichte von Maria, Hermann und Oswald mit unverschämter Leichtigkeit. Werfen sich die Szenen zu wie heiße Kartoffeln. Ziehen sich im Laufschritt um. Der alte Tanzsaal ist das Bühnenbild: ein paar Sitzmöbel, ein Beleuchtungsgerüst, gespielt wird zu ebener Erde, und trotz der schlechten Sicht auf vielen der 150 Plätze (daran wird noch gearbeitet) vermittelt sich: Drama. Und Ironie.

Das weiß man ja bei Anne Tismer nie. Meint sie’s tragisch, oder macht sie sich lustig? Träumt sie, oder lacht sie? Sie zeigt viel Bein, wie einst im Kino Hanna Schygulla, und sie zeigt auch, dass es viel Arbeit ist für eine Frau, sexy auszusehen. Tismers Maria rechnet mit ihrer starken Wirkung auf die Männer, aber sie ist nicht berechnend. Sie ist klug und auch kalt – kalt zu sich selbst. Eine deutsche Frau raucht nicht? Sie raucht wie ein Schlot, und da zeigt sich Anne Tismers Manierismus am krassesten. Sie verfügt über Dutzende von Grimassen und Augenaufschlägen, wie man eine Zigarette zwischen den Lippen hält. Die Männer? Stephan Baumeckers Hermann ist ein attraktiver Schweiger, Uwe Preuss als Fabrikant Oswald vielleicht ein wenig jung, aber von der nötigen Soigniertheit. Stoiker sind sie hier alle. Alles ist eben, wie es ist. So erleben sie ihre Geschichte – wie im Flug, wie im Film.

Das Ende: Bei Fassbinder fliegt das Haus in die Luft. Marias Zigarette und der Gasherd. Im Ballhaus geht Anne Tismer seitlich ab, um sich Feuer zu holen. Stille. Dunkel. Hier endet auch die Maria-Braun-Allegorie auf das neue Berliner Theater. Alles ist im Aufbau, im Zentrum eine unerschrockene und vielleicht auch total verrückte Protagonistin, aber den Big Bang sparen sie sich. Es beginnt ja alles erst. Es ist auch – auf den ersten Blick – Schauspieler-, nicht Regietheater.

Was bleibt von Fassbinders ätzendem Kommentar zum deutschen Wirtschaftswunder, von seinen überlebensgroßen Kunstfiguren zwischen Ufa und Hollywood? Anne Tismer und ihr Ensemble improvisieren einen historischen Stoff, sie behandeln ihn in der Art der frühen, kleineren Fassbinder-Filme. Und es ist, als spielten hier Schauspieler ihre Eltern und Großeltern. Ohne Vorwurf. Und mit allem Verständnis dieser Welt. Weil sie sich in ihnen wiedererkennen.

Wieder am 19. und 26. 2. und vom 24. bis 26. 3. Info: www.ballhausost.de

Rüdiger Schaper

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