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Kultur: Eilige Heilige

Wie „Stadium Arcadium“, das neue Album der Red Hot Chili Peppers, erst ins Netz kam und dann in die Läden

Vor vielen Jahren, als Musik noch auf Vinyl gepresst wurde, kündigte sich das erste Stück eines neuen Albums allenfalls durch das aufregend feine Knistern an, das entsteht, wenn die Saphirnadel sich in die Plattenrille senkt. Heute geht der Veröffentlichung eines neuen Werks tatsächlich oder vermeintlich großer Bands ein weißes Rauschen im Internet voraus.

So verschickte seit Mitte April auch Michael „Flea“ Balzary wieder alle paar Tage eine Mail an die Freunde der Red Hot Chili Peppers, deren Doppelalbum „Stadium Arcadium“ für die ersten Maientage angekündigt war. Auf der offiziellen Homepage der Band als Fleamail veröffentlicht, teilte der Bassist der Band mit, dass er in London Tee zu sich genommen hat und in Köln Spaghetti, dass er in Paris fröhlich lächelnde Menschen liebt und Jodie Foster sowieso, und dass in Washington George W. Bush definitely impeached gehört. Solche Sachen eben. Was ein Rockstar glaubt, dass Fans von ihm wissen wollen. Ein weitgehend glücklicher, drogenfreier, gesunder Flea zählt hier fröhlich die Stunden bis zum ersten Verkaufstag der neuen CD.

Doch am 2. Mai, kurz vor dem Veröffentlichungstermin, ist plötzlich alles anders. Deprimiert, verzweifelt, pathetisch erklärt Flea die Peppers zur Band der gebrochenen Herzen. Alle, alle am Boden zerstört, das Lebenswerk in Gefahr.

Was war geschehen? Ein neues Unglück im Umfeld der Band? Bat Anthony Kiedis im Himmel um Asyl? Folgt John Frusciante wieder inneren Stimmen? Nein, viel schlimmer. Flea will eines Morgens die Nachricht vernommen haben, dass die streng geheimen neuen Songs auf einigen File sharing sites bereits zu haben sind – als illegaler Download. „And that will break my heart“, schreibt Flea, „it will break john frusciante’s heart it will break anthony kiedis’s heart and it will break the heart of chad smith.“

Nun ja, möchte man sagen, eine illegal kopierte CD – das kommt vor, und zwar doch eigentlich fast immer. Irgendwo auf dem Weg vom Studio übers Kopierwerk zur Plattenfirma und weiter zu den Medien gehen Aufnahmen verloren und tauchen im Netz wieder auf. Allenfalls etwas eingedämmt werden konnte das, seit in den USA der „Family Entertainment and Copyright Act“ gilt, mit einer Höchststrafe von elf Jahren Haft für die Täter, und seit Promo-CDs mit Watermarks versehen werden, streng kopiergeschützt sind und oft auch mit künstlichen Fehlern entwertet. Dennoch: Firmen und Bands beklagen stets einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden. Was die RHCP betrifft: So groß kann dieser eigentlich nicht sein. Die Vorbestellungen der Doppel-CD waren gigantisch. Also, was soll das weinerliche Gehabe?

Tatsächlich steht im Mittelpunkt der Herzbruchmail nicht das Business, sondern: die Tonqualität. Flea behauptet, wer sich „Stadium Arcadium“ aus dem Netz zieht, bekomme nur eine fahle Imitation des Werkes mit ärmlichem Sound. Eineinhalb Jahre habe die Band so hart gearbeitet wie noch nie, Tag und Nacht am Sound so lange getüftelt, bis er ihnen allen heilig war. Und Flea legt noch eins drauf: So sensibel, wie John Frusciante als Musiker sei, werde ihn alleine der Gedanke tief im Inneren verletzen, ja sogar völlig zerstören, irgendjemand höre sein Heiligtum „that way“, also mies geklaut, mies kopiert. Dahinter steht eine düstere Drohung. Frusciante, der einst den an einer Überdosis gestorbenen ersten Peppers-Gitarristen Hillel Slovak ersetzte, hatte die Band bereits einmal verlassen, Stimmen folgend, wie er sagte; mit ihm ging der Erfolg, mit ihm kam er später zurück. Einen zweiten Abgang würden die Peppers wohl nicht überleben. So viel schwere Bedeutung, die da plötzlich auf einem an sich so banalen Vorgang lastet.

Tatsächlich dient die zur Schau gestellte Empörung der Band einer Selbstdarstellung der eher platteren Art, die andernfalls nur peinlich wäre. So aber ist sie wenigstens einigermaßen aufschlussreich. Flea nennt „Stadium Arcadium“ „the epic record of our lives, the best we can offer“. Es fehlten ihm die Worte dafür zu beschreiben, wie viel der Band dieses Album bedeute. Und immer wieder: dieser Sound, dieser Sound …

In den Internetforen dagegen wird wild spekuliert, ob die ganze Downloadaufregung und Bedeutungsaufladung nur ein leicht durchschaubarer Marketingtrick ist. Als geldgierige Dagoberts werden die Chili Peppers bezeichnet, das Qualitätsargument lässt niemand gelten. „Also meine Schweinsohren sind sicher nicht in der Lage, zwischen 128kbit, 192kbit geschweige denn 320kbit zu unterscheiden. Und die Ohren von RHCP-Fans sicher auch nicht mehr“, schreibt da einer, und an anderer Stelle wird vermutet: „Angst vor p2p haben nur die Bands, die Alben mit einem guten Track (wenn überhaupt) und sonst nur schlechten Füllern rausbringen, und dafür den vollen Albumpreis abgreifen wollen.“ Womit wir beim Kern des Ganzen wären.

„Stadium Arcadium“, ohne erkennbar tieferen Sinn aufgeteilt in die CDs „Jupiter“ und „Mars“, sollte ursprünglich rank und schlank daherkommen. Ein paar Songs, knallig-melodiöser Rockfunkpop mit gelegentlichem Harmoniegesang und stetigem Gitarrengegniedel, dazu Kiedis energische Suche nach dem richtigen Ton bei der Verwortung von Drogenexzessen, Frauengeschichten, Freundschaftsdiensten und Spiritistischem irgendwo in Kalifornien. Schließlich hatte die Band so viele Songs aufgenommen, dass sie am liebsten drei Alben in schneller Abfolge veröffentlichen wollte. Sie einigte sich mit der Plattenfirma auf ein Doppelalbum, erst schweren Herzens, später, wie beschrieben, gebrochenen Herzens.

Die herausgefallenen Songs, das lässt sich vermuten, auch ohne sie gehört zu haben, werden nicht viel anders sein als jene, die nun veröffentlicht sind. Zwei Stunden, 28 Songs: Es klingt alles ein wenig so, als hätten sich die Peppers selbst gecovert, als wären sie ihre eigene Revivalband, die aus rund zwanzig Jahren ihrer Geschichte schöpft, manches so funky wie das einst von George Clinton Produzierte, das meiste rockig nach Rick Rubin, dessen Finger auch diesmal am Mischpult waren. Aber was bohrt sich wirklich tief rein und wühlt auch noch weiter, wenn die zwei Stunden vorbei sind? Der Sound, ja wirklich, erscheint hier gewichtiger als all die Songs. Stillstand, auf hohem Niveau. Aber auch etwas Fortschritt: Anthony Kiedis, oh Wunder, hat tatsächlich noch richtig singen gelernt, und John Frusciante ist ab jetzt ein Gitarrengott. Flea kann sowieso besser bassen als schreiben, und Smith macht einfach alles mit. So knistert es doch. Auch ohne Nadel.

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