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Kultur: Ein älterer jüngerer Herr

In ihm steckt noch immer ein ganz junger Feuerkopf.Nicht das Kind zwar, das laut Nietzsche im echten ernsten Manne haust und draußen spielen will.

In ihm steckt noch immer ein ganz junger Feuerkopf.Nicht das Kind zwar, das laut Nietzsche im echten ernsten Manne haust und draußen spielen will.Günther Rühle ist vielmehr ein unaufhörlich Entflammter: ganz Feuer und Kopf für das Theater.In einer Zeit, da die Schaubühne weder als moralische noch gar unmoralische Anstalt die Gemüter sehr erhitzt und viele nur cool (und oftmals: banausisch) von den Quoten und Quantitäten "der Medien" plappern, ohne zu merken, wie klapperfahl bisweilen die Gespenster des eignen bunten Zeitgeists dahertanzen - in diesem Theater-Stimmungstief ist der heute 75jährige Günther Rühle noch immer wie kein zweiter Kritiker fähig, die Bühne mit allem intellektuellen und feuilletonistischen Hochdruck als das älteste und zugleich lebendigste Forum einer zivilisierten, einer kultivierten Gesellschaft zu beschwören.Er kennt natürlich die verbreitete Skepsis.Rühle weiß, daß die Pop-Revolte so gut wie die elektronische und digitale Revolution das bildungsbürgerliche Selbstverständnis des Theaters als Zentralorgan der Aufklärung und Unterhaltung erschüttert hat.Aber ihn plagt doch kein ernstlicher Zweifel, daß das Drama in seiner leibhaftigen Gestalt, in der spirituellen Versinnlichung bis heute unverändert die Grundfragen unserer Existenz berührt: Wie können wir leben, wo verbirgt sich im Krieg der Frieden, wo die Liebe im Haß, wo der Witz in der Katastrophe, und was ist das: Glück?

Günther Rühle sucht immer die geschichtliche Dimension: als Chronist, als Anthologe und Kommentator des Theaters der Weimarer Republik.Und er plädiert zugleich für die Zeitgenossenschaft, für die zeitgeschichtliche Neugier und das seismographische Sensorium der Bühne.Warum, hat er oft gefragt, war es keinem deutschen Dramatiker mehr möglich, aus einem Ereignis wie dem Kanzlersturz Willy Brandts ein großes Schauspiel zu machen.Daß anders als zu Schillers, Brechts und selbst des frühen Hochhuths Zeiten heute die journalistische Geschwindigkeit in solchen Fällen die poetischen Frei- und Spielräume verengt (und die hier fälligen erkenntnis-kritischen Probleme Herr Adorno schon vor Jahrzehnten beschrieben hatte), will Rühle nicht einleuchten.Er glaubt an die Symbolkraft des Theaters und fragt sich und fragt uns, warum die Autoren der angelsächsischen well-made plays soviel unmittelbarer als die deutschen Dramatiker heute auf Zeit, Politik und Gesellschaft zu reagieren vermögen.

Günther Rühle, der 1924 in Gießen als Nachfahre eines preußischen Generals geboren wurde, der Theaterkritiker und Feuilletonchef der FAZ war, der das Frankfurter Schauspiel leitete, für den Tagesspiegel arbeitete und bis heute in "Theater heute" schreibt, der Marieluise Fleißers Werk und Minettis Memoiren edierte, der uns Alfred Kerr aufs neue entdeckt: Er gilt manchen als strenger Lehrmeister.Dabei hat er einen wundervoll trockenen Humor, ganz uneitel, so ist er ein Herr mit Schalk und Weisheit.Viel jünger, als man denkt.

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