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Trügerischer Traum. „Dreams in Dust“ (2020) von Philipp Fürhofer.

© Henning Moser

Ein Besuch bei Philipp Fürhofer: Was ein Bühnenbilder in der Coronakrise macht

Philipp Fürhofer entwirft eigentlich die Kulissen für große Opern. Doch in der Coronakrise kommt ihm sein zweites Standbein zugute. Ein Porträt.

Auf dem Laptop ist alles zu sehen: Drehbühne, Tüllvorhänge, bemalte und doch transparente Plastikfolien. Ein komplexes Kaleidoskop aus mobilen Kulissen und Spiegeln, die sowohl die arkadische Landschaft Griechenlands als auch die Unterwelt, den Hades symbolisieren können.

Dieses Bühnenbild hatte Philipp Fürhofer für „Castor et Pollux“ entworfen, Jean-Philippe Rameaus „Tragédie en musique“ über den unsterblichen Bruder, der sich für den sterblichen opfert, bevor Jupiter eingreift – und beide als Sternbild an den Himmel versetzt.

Aus, vorbei: Die Inszenierung an der Bayrischen Staatsoper, die auch ein höchst willkommenes Lebenszeichen von Regisseur Hans Neuenfels gewesen wäre, ist selbst Opfer der Coronakrise geworden.

Fürhofer klappt den Laptop zu. Ja, es war bitter und für ihn eine neue Erfahrung. Doch der 38-jährige Augsburger, der an der Universität der Künste studiert hat und dessen Werke in mehreren Ausstellungen in der Berliner Galerie Judin zu sehen waren, will sich selbst nicht zu wichtig nehmen: „Andere trifft es viel härter. Bühnenbildnerinnen, Regisseure, Sänger, Darstellerinnen, auch die großen, umjubelten Stars. Das sind ja letztlich alles Solo-Selbstständige, die jetzt einfach nichts mehr verdienen. Viele, die ich kenne, sind ratlos, frustriert, auch verzweifelt.“

Als Bühnenbildner spürt er den kalten Atem der Krise. Doch er hat Glück, besitzt er doch eine zweite Identität als bildender Künstler, und die trägt ihn jetzt: „Ich habe einfach immer weitergearbeitet. Die Leute gehen ja nach wie vor in Galerien, und sie wollen auch Kunst kaufen.“

Fürhofer hat während der Krise eine Ausstellung

Fürhofers Atelier liegt im dritten Stock eines der wenigen historischen Gebäude an der Heidestraße nördlich vom Hauptbahnhof, die Krieg und Mauerbau überstanden haben. Die einen Stachel in dem glattgesichtigen Investorenquartier bilden, das hier gerade entsteht.

Die dem Viertel so etwas wie Identität oder Charakter schenken könnten. Blättriger Putz und florale Kacheln flüstern denen, die zuhören, Geschichte zu. Wie lange Fürhofer hier noch bleiben kann, weiß er nicht. Gerade ist sein Atelier ziemlich leer geräumt. Denn er hat tatsächlich, mitten in der Coronakrise, eine Ausstellung, in der Münchner Galerie Sabine Knust.

Dort hängt zum Beispiel „Passover“, ein neues Werk von 2020. Beim ersten Hinsehen eine graue, öde Fläche auf Acrylglas mit ein paar roten Flecken im unteren Drittel: Körperdetails aus Illustrierten und Magazinen. Auf einmal schalten sich automatisch LED-Röhren ein, die hinter dem Glas montiert sind.

Das Werk durchläuft eine komplette Metamorphose. Plötzlich sind da Bäume zu erahnen, Lichtstrahlen erstrecken sich radial von einem zentralen Punkt, das hat eine fast religiöse Dimension. „Passover“, das ist der Übergang, die Verwandlung von einem Zustand in einen anderen – und die englische Bezeichnung fürs Pessachfest, mit dem Juden und Jüdinnen den Auszug aus Ägypten feiern.

Die Zerbrechlichkeit des Körpers

Hier kommt vieles von dem zusammen, was Fürhofers Arbeit ausmacht: das Sinnliche und Voluminöse, die Dreidimensionalität und Objekthaftigkeit, der Einsatz von Weggeworfenem, Vernachlässigtem, von Zivilisationsmüll (Heidegger hätte vielleicht gesagt, von „Zeug“), von Kitsch, der zum Sprechen gebracht wird.

Die Destruktion und zugleich stille Verehrung von Mythen, Tradition, Romantik, die Fürhofer letztlich auch zur Opernbühne gebracht hat. Und eben immer: Licht. Das ist als Element so konstitutiv für seine Kunst, dass seine Werke eigentlich immer zweimal abgebildet werden müssten, im aus- und eingeschalteten Zustand: „Als Künstler wird man sich über die Jahre immer nur noch bewusster, was man da eigentlich tut. Es ist keine Wiederholung des immer Gleichen.“

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Der Titel der Münchner Ausstellung, „Aura“, spielt mit diesem Aus-sich-heraus-Scheinen der Bilder, aber natürlich auch mit Walter Benjamin und seinem berühmten Kunstwerk-Aufsatz, in dem er den Begriff der Aura von der Sphäre der Natur in die der Kunst überführt. Es sind vor allem Bäume, Vegetation, Wälder, die Fürhofer in letzter Zeit gemalt hat, Chiffren für Wachstum und Vergänglichkeit.

Eng damit verwoben ist ein zweites Thema, das der Zerbrechlichkeit des Körpers und der Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Zweige, Adern, Verästelungen: Auf Fürhofers Bildern fließt ineinander, was sich sowieso nahe ist. „X-Rays of Sunlight“ heißt eine Serie, Blätter als Zellen, Äste als Blutgefäße. Und ist nicht beides, Natur wie unser fragiler Leib, gleich bedroht? „Unsere Verdrängungsleistung angesichts des Todes ist ja enorm“, sagt Fürhofer. „Und so gehen wir auch mit dem Planeten um: als ob er ewig sei.“

Auch als bildender Künstler gefragt. Philipp Fürhofer.
Auch als bildender Künstler gefragt. Philipp Fürhofer.

©  Steven Kohlstock

Der durchröntgte, durchleuchtete Brustkorb zieht sich als Topos durch seine Arbeiten, seit Ärzte festgestellt haben, dass er einen Herzfehler besitzt. 2006, da war er 24, musste er sich einer Operation unterziehen. „Anfangs fand ich das Thema zu privatistisch für meine Arbeit“, erzählt er.

Die Zurückhaltung hat er abgelegt, inzwischen weitet er das Motiv gern ins Universelle aus. Geprägt hat ihn dabei der Essay „L’Intrus“ („Der Eindringling“, Merve Verlag 2000) des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy, der anlässlich einer Herztransplantation über dieses existenzielle Ereignis, über das Fremde im eigenen Körper und die Bedeutung des „Fremden“ als Erneuerer von Gesellschaft reflektiert.

Trotz Coronakrise ist dies kein schlechter Sommer für Fürhofer. In einer weiteren Ausstellung über die Modedesign-Ikone Thierry Mugler in der Münchner Kunsthalle hat er gerade zwei Räume gestaltet. Außerdem ist ein Bildband über ihn erschienen („Dis-Illusions“, nai010 Publishers, 180 S., € 44,95), mit seinen Arbeiten aus den letzten Jahren und Essays über das Herz als Motiv der Malerei, Fürhofers Verhältnis zu Richard Wagner oder die Wechselwirkung von Bildender Kunst und Bühne.

Kunsthistoriker Norman Rosenthal beschäftigt sich mit seinen Kulissenentwürfen und entwickelt die These, dass Fürhofers besondere Nähe zur Oper schon dadurch vorgeprägt sei, dass hier wie dort Zeit eine zentrale Rolle spiele – in der Rezeption von Musik genauso wie in seinen Bildern, die durch das Ein- und Ausschalten oder Dimmen von Licht auf verschiedenen Zeitebenen wahrgenommen werden.

Im September wird Fürhofer erstmals Kulissen für Sprechtheater bauen

Doch es gibt auch Rückschläge. Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Regisseur Stefan Herheim, der ab Herbst an der Deutschen Oper den verschobenen „Ring“-Zyklus inszeniert, ist erstmal beendet. „Stefan braucht im Grunde keinen Bühnenbilder, weil er in den letzten Jahren immer mehr aus sich heraus entwickelt“, sagt Fürhofer. „Mir scheint, das weiß er auch selbst.“ So bleibt „Der Fliegende Holländer“ (Helsinki, 2016) die bisher einzige Wagner-Oper, die Fürhofer ausgestattet hat.

Was natürlich nicht verhindert, dass er sich mit Wagners Mythenwelt intensiv auseinandergesetzt hat – wie auch mit Verdi: „Verdis Opern sind fragmentarisch, brüchig, erklären sich anhand des Textes so wenig. Als Bühnenbildner entwickelst du etwas, und es wird sofort banal, wegen der Musik, die alle inhaltlichen Klippen zu verbinden scheint. Verdi gibt dir eigentlich ständig einen Arschtritt.“ Bei Wagner sei das anders: „Wagner baut einen in sich völlig ideologisch durchdachten Kosmos, bei dem es dann vor allem darauf ankommt, den Schlüssel zu finden, also eine These: Wer ist Lohengrin? Was ist Brabant?“

Im September wird Fürhofer erstmals Kulissen für Sprechtheater bauen, für „Hamlet“ in Kopenhagen. Die sich ständig verändernde Bühne soll Hamlets Versuche widerspiegeln, die Situation zu reflektieren, in der er sich schließlich verliert. Und 2021 werden Fürhofers Bilder dann auch wieder in Berlin zu sehen sein. Natürlich in der Galerie Judin.

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