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Kultur: Ein deutscher Weltbürger

Zum 75. Geburtstag von Armin Mueller-Stahl

Herbst 2005. Als versoffener russischer Maler in einem Film von George Gallo hat er gerade die Dreharbeiten in New Orleans beendet – und er bricht sich in Berlin den Fuß. Ausgerechnet dort, wo er als singender Prinz in „Aschenbrödel“ 1952 voller Selbstzweifel sein Debüt als Schauspieler gab: im Berliner Ensemble. Bei der Sprechprobe für eine Lesung blendet ihn ein Scheinwerfer, und Armin Mueller-Stahl stürzt zwei Meter tief in den Bühnengraben. Er liest trotzdem. Und erst nachdem er – höflicher Mensch, der er ist – noch eine Stunde lang mit anschwellendem Fuß den Aufbau-Verleger Lunkewitz beim Cocktail-Empfang unterhalten hat, lässt er sich von seiner Frau endlich ins Krankenhaus fahren.

Während er in seinem Haus an der Ostsee festsitzt, erscheint bei Aufbau „Venice – Ein amerikanisches Tagebuch“, seine Novelle über eine zu später Freundschaft gereifte Zufallsbegegnung mit einem freiwillig in die Welt der homeless people abgestiegenen Banker. Das Buch, das Mueller-Stahls Spaziergänge und Fahrradtouren an seinem zweiten Lieblingsstrand (Venice Beach) an seinem zweiten Lieblingswohnsitz (Los Angeles) reflektiert, ist reichhaltig illustriert mit wunderbaren Skizzen seiner Beobachtungen von Szenen aus dem kalifornischen Strandpromenaden-Milieu.

Vor 75 Jahren in Tilsit geboren, hat er so viele Leben gelebt, wie man sie vielleicht nur als Schauspieler leben kann. Eine ostpreußische Kindheit in einer musischen Bankangestellten-Familie – mit einem innig geliebten Vater, der in den letzten Kriegstagen als Soldat umkommt. Als junger Erwachsener ein Leben in West- und Ost-Berlin, dann eines im Osten, mit Mauer. Mit 50 ein neues Leben – erst in West-Deutschland, dann in Amerika, in Hollywood. Seit langem nun pendelt Mueller-Stahl zwischen dem Haus am Ostsee-Strand und seinem anderen, in Pacific Palisades.

Ein eigensinniger Star: Als Stasi-Mielke ihn einst küssen wollte, Mueller-Stahl ihn abwimmelte – „Vorsicht, der Bart fusselt!“ – und kurz darauf die Petition gegen die BiermannAusbürgerung unterschrieb, war’s vorbei mit der Gunst. In der Bundesrepublik drehte er dann lieber mit Fassbinder „Lola“ als in der Schwarzwaldklinik. Einer, der nach der Miesepetrigkeit in Kohls Deutschland aufatmete im Amerika Clintons und nun verstört ist über jenes der Familie Bush.

In seinem „Venice“-Tagebuch schreibt Mueller-Stahl, er habe mit einem alten Freund, einem berühmten Drehbuchautor, gewettet, dass man Filmgeschichten auf der Straße auflesen könne. „Man muß sich bloß bücken, sie aufheben“. Er ist selber so eine Geschichte.

Der Autor ist Verfasser der Biografie „Armin Mueller-Stahl – Begegnungen“, Knesebeck Verlag München.

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