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Kaiser und Käthchen. Dieter Dorn mit Lucy Wirth beim Münchner Finale. Foto: p-a/dpa

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Kultur: Ein Engel zum Abschied

Dieter Dorn beschließt seine Münchner Theater-Ära – und Martin Kušej sucht das neue Glück

Das letzte Wort ist „Aus!“. Es ist das erste Wort in dieser fünfeinhalbstündigen Aufführung des „Käthchens von Heilbronn“, das nicht vom dramatischen Dichter Heinrich von Kleist stammt. Aber dichter und dramatischer kann man ein Ende nicht formulieren. Und der Regisseur Dieter Dorn spricht es, ruft es, befiehlt es selbst: das einsilbig vielsagende „Aus“.

Tatsächlich ist dieses Kleistsche „Käthchen“ im Jubiläumsjahr des Autors auch das große Endspiel einer Theater-Ära. Weit über München hinaus. Wenn morgen Abend gegen 22 Uhr 15 im Bayerischen Staatsschauspiel nach jenem Schlusswort auf der großen Bühne kein Vorhang fällt, sondern, finita la comedia!, der Blackout folgt – vor allen Ovationen, dann beschließt der Abend 35 Jahre Regentschaft eines Regisseurs und Intendanten. Vom Hamburger Schauspielhaus, von der Wiener Burg und vom Berliner Schillertheater kam der damals 40-jährige Dieter Dorn 1976 als Oberspielleiter an die Münchner Kammerspiele, war dort zuerst Oberspielleiter und von 1983 bis 2001 Intendant. Hernach wechselte Dorn mit dem Großteil seines Ensembles auf die andere Seite der Münchner Maximilianstraße und übernahm für ein Jahrzehnt, nach der Fregatte der städtischen Kammerspiele, den Tanker Bayerisches Staatsschauspiel, besser bekannt als Münchner Residenztheater (alias „Resi“).

Dorns Credo bleibt bis heute: „An erster Stelle stehen die Werke der Autoren, und dann kommen die Schauspieler. Der Regisseur ist nur dazu da, beiden zur größtmöglichen Wirkung zu verhelfen.“ Mit dieser heute eher altmeisterlichen Devise und dem zu seinen besten Zeiten weltmeisterlichen Ensemble hatte Dorn die Münchner Kammerspiele in den 80er/90er Jahren zu einer Erfolgsbühne sondergleichen gemacht. Dort spielten Rolf Boysen, Thomas Holtzmann, Peter Lühr, Helmut Griem, Doris Schade, Maria Nicklisch, Gisela Stein, Cornelia Froboess, Jutta Hoffmann, Sibylle Canonica, Lambert Hamel, Felix von Manteuffel, Edgar Selge, Ulrich Matthes, Tobias Moretti, Sunnyi Melles, auch mal Bruno Ganz und viele andere Wunderbare.

Und selbst die Regisseure waren so unwichtig nicht. Neben Dorn sein zu früh verstorbener Antipode Ernst Wendt, Thomas Langhoff, der damals in München als ausreiseberechtigter Bürger der DDR eher stärker wirkte als am Deutschen Theater in Berlin, auch George Tabori, Peter Zadek, Robert Wilson, Franz Xaver Kroetz, Benjamin Korn und Luc Bondy. Dorns eigene Inszenierungen, ob seine achtstündig und erstmals vollständig gespielte „Lulu“, sein „Faust“, seine Shakespeares mit den Sternstunden von „Troilus und Cressida“, seine irrwitzig komisch-geistvollen Botho-Strauß-Aufführungen, seine neunstündige Version von Tankred Dorsts „Merlin“ – es waren allemal Ereignisse. Theater wurde zum Stadtgespräch, wie zuletzt nur bei Claus Peymann vor seiner Berliner Zeit oder beim wilderen, jüngeren Frank Castorf zu Beginn seiner Volksbühnen-Intendanz.

Dabei war Dieter Dorn nie ein Provokateur.Er ist auch kein visionärer oder intellektueller Durchleuchter. Aber ebenso wenig ein Blender. Der gebürtige Leipziger kommt als Regisseur vom Kunst-Handwerk her, er ist ein ungemein metiersicherer Arrangeur – und bei seinen zahlreichen Glücksfällen verbindet sich ein alles Handwerkliche übersteigendes szenisch-musikalisches Gespür für Rhythmik und Gestus mit dem Moment des Poetischen. Wird zu Dorns eigener Kunst.

Beim „Käthchen“ ist das oft nurmehr zu ahnen. Es gibt da im Bühnenbild seines langjährigen Partners Jürgen Rose ein paar unübersehbare Holprigkeiten, überflüssige Umbaupausen, etwas hölzerne Gruppierungen. Trotz Größen wie dem hochbetagten Rudolf Wessely oder der glänzenden Cornelia Froboess in Nebenrollen fehlen in dem mehr als 30-köpfigen Ensemble Spieler vom Karat eines Rolf Boysen oder Thomas Holtzmann, beide inzwischen zu gebrechlich. Und die komödiantisch tolle Sunnyi Melles, deren Mischung aus blonder Megäre, Monroe und Monster der Kunigunde von Thurneck (einer die heutige plastische Schönheitsindustrie vorwegnehmenden Erfindung von Kleist) einen fabelhaften Drive gegeben hat, auch sie fehlt in den letzten Aufführungen. Die Rolle musste umbesetzt werden, weil Melles nun lieber mit Helmut Dietl in Berlin die hauptstädtische Fortsetzung der legendären „Kir Royal“-Serie drehen wollte.

Das Ausscheren einer Protagonistin wäre bei Dorn früher undenkbar gewesen. Doch er kann es verstehen: „Die großen Ratten verlassen das sinkende Schiff als erste“, sagt er mit einem leicht maliziösen Lächeln und schüttelt seine mächtigen grauen Locken. Wir treffen Dorn im Residenztheater, zwischen den Umzugskartons und zwei Stunden, bevor er auf die Bühne muss. Es ist das erste Mal in diesen Münchner Jahrzehnten, dass er eine Schauspieler-Rolle selber übernommen hat. Dorn bricht zu Beginn des Spiel sehr effektvoll durch die Hinterwand des riesig offenen Hauses und betritt als Cherub die Szene: ein himmlischer Wegweiser durch das Stück, sein stummer Regisseur, als der er sich zum Finale hin auch in den Kaiser verwandelt, der im armen verliebten Käthchenmädchen die bei einem längst vergessenen Seitensprung gezeugte eigene Tochter erkennt.

Dieses Käthchen, von der jungen Lucy Wirth mit einem anmutig flirrenden Begehren wie eine Fundamentalistin der Liebe gespielt, ist neben aller Symbolik das Ereignis der Aufführung. Durch sie zeigt auch Dorn zum Abschied nochmals die eigene alte Meisterschaft. Ab morgen ist er dann frei und wird als nächstes den Wagnerschen „Ring“ an der Oper von Genf inszenieren. Derweil probt der künftige Resi-Intendant Martin Kušej in München schon seine Eröffnung: Arthur Schnitzlers „Weites Land“, Premiere Anfang Oktober, mit Tobias Moretti, Juliane Köhler und Eva Mattes.

Dorn scheidet mit 75 Jahren wehmütig, aber ohne Zorn. Den 25 Jahre jüngeren Kušej habe er dem bayerischen Kultusminister selbst empfohlen. Und der Nachfolger sitzt vor der eigenen Probe freundlich entspannt im theaternahen Café. „Ich habe großen Respekt vor Dorn und bin auch ein Freund des literarischen Theaters. Aber wir werden“, sagt der selbstbewusste Kärntner, der zuletzt auch als Burgtheater-Direktor im Gespräch war, „wir werden einen neuen Wind wehen lassen.“ Kušej plant nach seinem Schnitzler viele Erstaufführungen von Autoren wie Albert Ostermaier (ein Traumspiel um Franz Josef Strauß), Helmut Krausser oder Jürgen Kuttner. Er hat das Bayerische Staatsschauspiel nun offiziell in „Residenztheater München“ zurückbenannt. Schlanker und härter. Offener auch: „Ich selbst verstehe mich als europäischen Theatermann“, weshalb unter seinen Regisseuren verstärkt Namen wie Calixto Bieito, Dušan David Parizek oder Pippo Delbono auftauchen. Die Themen reichen dabei vom isländischen Vulkanausbruch bis zum ersten glücklichen Ende einer Kafka-Geschichte.

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