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Kultur: Ein Film und 93 Splitter Minutentexte zu

„The Night of the Hunter“

Manche Einfälle sind so einfach, dass sie genial sind. So wie die Idee der beiden Filmkritiker Michael Baute und Volker Pantenburg, 93 Texte von 93 Autoren zu den 93 Minuten von Charles Laughtons 1955 uraufgeführtem Film-Noir-Klassiker „The Night of the Hunter“ zu sammeln – und unter dem Titel „Minutentexte“ herauszugeben (Verlag Brinkmann und Bose, Berlin, 288 S., 30 €). Das Ergebnis ist ein nicht nur für Fans faszinierendes Filmbuch, das durch die unterschiedlichen Perspektiven der Beiträger – darunter Theoretiker wie Klaus Theweleit oder Tom Holert, Regisseure wie Harun Farocki oder Christian Petzold, die Lyrikerin Monika Rinck – ein Bild schafft, das „so arbeitsteilig funktioniert wie das Filmemachen“.

Immer wieder bieten die Nahbetrachtungen beglückend scharfsichtige Zugänge zu dem düster-religiösen Märchen um zwei Waisenkinder, eine geldgefüllte Puppe und einen mörderischen Priester (gespielt von Robert Mitchum, mit den berühmten „LOVE“- und „HATE“-Tattoos auf den Fäusten). Die Cutterin Bettina Böhler hat mal nachgezählt: „10 Schnitte in dieser Minute. 731 Schnitte in 93 Minuten, davon 60 überblendet“.

Die Schauspielerin Julia Hummer träumt in einer poetischen Miniatur davon, der kleine John Harper zu sein. Die Künstlerin Ursula Döbereiner hat als Antwort auf die kontrastreiche, sorgfältig durchkomponierte Schwarzweißbildsprache von Laughtons einziger Regiearbeit 27 „Sekundenbilder“ gezeichnet. Bei der heutigen Berliner Präsentation des Buches sind sie als projizierte Animation zu sehen. So stehen verschraubte Exegesen neben bunten Notizen, flapsige Nacherzählungen neben Bildanalysen. Die Autoren Michael Girke und Manfred Bauschulte fragen sich: „Kann eine Minute Film das Gewicht von 3000 Jahren haben?“ Immer wieder stellen sie Verbindungen her zwischen „ihrer“ 84. Minute und dem Rest des Films. Ihr platonischer Dialog schließt mit der Erkenntnis, dass die Figur der altjüngferlichen Waisenhausleiterin Rachel Cooper (Lillian Gish) zeige, dass „nicht Gott“ erlöst, sondern allein menschliches Verhalten: Gishs Sensibilität, ihr Wirklichkeit veränderndes Verhalten, wenn nötig mit Schrotflinte“. Das zu dem Minutentext gehörende Szenenbild zeigt die strenge alte Dame als leuchtende Heldin mit Gewehr im Anschlag, hinter ihr zittert die bedrohte Kinderschar. In der Nacht vor dem Haus lauert der tätowierte Priester. Noch hat die eine Hand die andere nicht besiegt.

Buchvorstellung heute um 21 Uhr im Kino Arsenal.

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