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Kultur: Ein Gefühl für die Erhabenheit deutscher Landschaften

Das Mikado-Spiel: neue deutsche Filme und das Ende der Ära Hauff – zum Abschluss des 21. Münchner Filmsfests

München läutet. Die Stadt hat die Abschiedsglocken in Schwung gebracht für den Mann, der vor 20 Jahren das Filmfest begründet hat und jetzt – nicht ganz freiwillig – sein Amt als Festivalleiter aufgeben wird. Eberhard Hauff hat 1983 begonnen, in Zeiten der Kohl-Ära. Mit seinem kompetenten Team katapultierte er das Festival schnell ganz weit nach vorne unter den deutschen Klassentreffen der Cineasten, Filmemacher und Kritiker. Dafür muss man den Hut vor ihm ziehen. Doch je länger er im Amt war, desto stärker wurde er von einer Krankheit befallen, die in Berlin als Moritz-de-Hadeln-Syndrom bekannt ist. Hauff sah nicht ein, dass er Fehler gemacht hatte. Neuerungen blieben aus. Und abtreten wollte er schon gar nicht.

Die Hauptsparten und Nebenreihen gleichen in München mittlerweile einem Mikado-Spiel: Eins ragt hinein ins andere, liegt überkreuz, versperrt den Überblick. Und wer was bewegt, so offensichtlich die Spielregel, hat verloren. Dabei müsste man in Anlehnung an Luchino Viscontis „Der Leopard“ eigentlich sagen: Manche Dinge müssen sich ändern, damit das Filmfest bleiben kann, was es ist – das zweitwichtigste Festival im Lande. Die Reihe „American Independents“ steht dabei am wenigsten zur Debatte. Sie war in diesem Jahr eines der Glanzlichter (siehe Tagesspiegel vom 2. Juli). Viel matter leuchtete jene Sparte, die in München traditionell am meisten Beachtung findet: die Reihe der deutschen Filme.

Bei einem Kolportagestück wie Susannes Schneiders „In einer Nacht wie dieser“ beispielsweise fragt man sich kopfschüttelnd, wie es den Weg ins Programm finden konnte. Drei Teenie-Zicken hängen dem Klassenstreber eine Vergewaltigung an, weil sie vom prügelnden Soldaten-Vater der einen bei einer Drogenorgie erwischt worden sind. Die Figuren tragen so überzeugende Namen wie Persica, Kika und Jack Heck. Sie faseln Sätze wie „Es wäre echt smart, wenn du mir nicht so auf die Pelle rücken würdest.“ Und gegen die Darsteller sind Gartenzwerge verblüffende Charakterschauspieler. In „Madrid“ gibt Daphne Charizani vor, vom konkreten Konflikt einer Immigrantentochter zu erzählen. Am Ende schildert sie dann doch nur die vagen Befindlichkeiten einer einsamen Frau. Ein trister Film über einen tristen Alltag. Das wacklige Gerüst des Films wird alleine durch die Hauptdarstellerin Kathrin Angerer vor dem Einsturz bewahrt.

Auch Christoph Bach muss in „Detroit“ das Gewicht eines Films beinahe alleine tragen – eine Last, unter der man ihn laut ächzen hört. Bach, der dafür merkwürdigerweise den „Förderpreis deutscher Film“ als bester Nachwuchsschauspieler gewann, wird von seinen beiden Regisseuren Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser auf eine Reise geschickt, die wohl mehr in seiner Psyche stattfindet. Ein verwirrendes Porträt eines Verwirrten.

Aus dem endlosen Wüstensand des Mittelmaßes ragten letztlich nur drei filmische Oasen heraus. Und manchmal war man auch bei ihnen nicht sicher, ob sie vielleicht nur verführerisch aufblitzende Fata Morganas sind, die sich bei genauerem Hinsehen verflüchtigen.

Dazu gehört Hendrik Handloegtens Romanverfilmung „Liegen lernen“. Der Film betet das Erfolgsmantra nach, das jeder zweite deutsche Nachwuchsregisseur derzeit vor sich hin zu murmeln scheint: „Du musst einen windelweichen Teenagerhelden (männlich) zeigen, der beim Prozess des Erwachsenwerdens auf einen anderen Teenagerhelden (weiblich) trifft und dabei einige Male auf seinen weichgepolsterten Jünglingshintern fällt. Dabei musst du viel windelweiche Popmusik aus vergangenen Zeiten spielen, um ein möglichst nostalgisches Gefühl im Bauch deiner Zuschauer zu erzeugen.“ Weil Handloegten, der den Drehbuchpreis verliehen bekam, das Ganze aber charmant erzählt; weil er mit Fabian Busch einen überzeugenden Hauptdarsteller hat; und weil seine Set-Designer die achtziger Jahre so verblüffend genau wiederbeleben, verzeiht man ihm gerne diesen windelweichen Film. Emotional zwei Schraubendrehungen weiter geht Elmar Fischers „Fremder Freund“. Der Film schildert die fragile Freundschaft zwischen einem Berliner und einem Araber vor dem Hintergrund des 11. Septembers. Fischers Film ist eine exzellent gespielte Studie über Freundschaft, Reibungen zwischen Kulturen und das Nagen des Misstrauens. Ein kleiner Höhepunkt.

Der eigentliche Höhepunkt aber war ein Abschlussfilm der Münchner Filmhochschule: Hans Steinbichlers „Hierankl“. Auf einem entlegenen Gehöft im bayerischen Alpenland kommen zum 60. Geburtstag des Familienoberhaupts sechs Personen zusammen, deren familiäre Verstrickungen, wie sich herausstellen wird, verworrener sind als ihnen lieb ist. Der Film erinnert thematisch an Thomas Vinterbergs „Das Fest“, setzt aber weniger stark auf emotionale Erschütterung. Statt dessen ist der Ton oft elegisch, durchbrochen von ironischen Momenten. Die Kamera rückt den Darstellern – allen voran Josef Bierbichler, Barbara Sukowa und der als bester Darstellerin ausgezeichneten Johanna Wokalek – oft sehr nahe auf den Leib. In diesen Einstellungen werden die Figuren dabei häufig an den Bildrand gedrängt. Das ist ungewöhnlich und gewagt.

Außerdem flackern hier Dinge auf, die es im deutschen Film sonst gar nicht zu geben scheint: Erotik, ein Gefühl für die Erhabenheit deutscher Landschaften und eine Reflexion über ein unbeliebtes, aber wichtiges Kapitel des deutschen Kinos – den Heimatfilm. Hans Steinbichler gewann deshalb zu Recht den Regiepreis, auch wenn ihm der Film am Ende ein wenig aus der Hand zu gleiten droht. „Hierankl“ ist nicht perfekt. Doch wie sagt Josef Bierbichler an einer Stelle des Films? „Nix ist besser als gar nix.“

Viel wäre allerdings noch besser als nix. Und deshalb wird sich Eberhard Hauffs Nachfolger Andreas Ströhl, der zuletzt den Filmbereich des Goethe-Instituts geleitet hat und dabei einen sehr präzisen Eindruck vom deutschen Kino gewinnen konnte, Gedanken über die deutsche Reihe machen müssen. Ströhl, der über dreißig Jahre jünger ist als Hauff, wird dabei wahrscheinlich um die Aufgabe nicht herumkommen, frische Gesichter in seinem Team aufzustellen. Vielleicht gelingt es ihm dann wieder, den Eindruck zu erwecken: Das Filmfest München leuchtet.

Julian Hanich

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