zum Hauptinhalt

Kultur: Ein Gespenst geht um

Literatur und Moral im Schatten des Krieges: Zum Abschluss der Leipziger Buchmesse

„Ich hätte es wissen müssen, Gespenster sind nicht transportabel“, hallt es durch die gewaltige Krypta des Leipziger Völkerschlachtdenkmals. Bei eisiger Kälte haben sich zahlreiche Literaturfans im Inneren des Jugendstil-Bollwerks versammelt, um Samstagnacht der Lesung von Franz Kafkas Theaterfragment „Der Gruftwächter“ zu lauschen – der vielleicht schrägsten von über 650 Veranstaltungen der Buchmesse. Es lesen Schauspieler und zwei Mitglieder der Popband „Die Prinzen“. Resonanzräume mit Interferenzen, wie sie unterirdischer nicht sein könnten: die Kriegs-Krypta und Kafkas kryptischer Text, der von einem „militärisch bewachten Schlosspark“, einem friedlichen „Friedrichspark“ und der geisterhaften Wiederkehr der Habsburger handelt. Auf der Empore haben Zuhörer das obligatorische „Pace“-Transparent entrollt. Aber das Gespenst, das umging auf dieser Buchmesse, bedurfte keiner Beschwörung und wich keinem Bann. Dieses Gespenst ist transportabel.

Schriftsteller, Leitartikler

Die Leipziger Buchmesse war schon immer mehr ein vielstimmiger Gesprächs- und Gerüchteraum als ein Ort des Bücherhandels. Klar, dass die Bücher bei der diesjährigen Gespensterjagd besonders in den Hintergrund gerieten: Alle wollten wissen, was die Literaten über den Krieg denken. Und die meisten Literaten hatten Verständnis dafür.

Jan Philipp Reemtsma sieht das anders. Als er eine Diskussion mit Imre Kertész moderiert, fährt er einen Fragenden harsch an, als der den Nobelpreisträger um seine Meinung zum Krieg bittet: Man dürfe die Schriftsteller nicht als Leitartikler missbrauchen. Kertész ist Reemtsmas Ton merklich unangenehm, aber zum Krieg möchte er trotzdem lieber nichts sagen. Ein anderer Nobelpreisträger, Günter Grass, verliest dagegen am Freitag in der Stadtbibliothek einen ausgewachsenen Leitartikel: „Das Unrecht des Stärkeren“. Grass ist ganz auf Schröder-Fischer-Linie. Man habe die Deutschen oft gefragt, ob sie stolz seien auf ihr Land. Die Ablehnung des Krieges durch Regierung und breite Schichten der Bevölkerung mache ihn nun „ein wenig stolz“. Und: Die Sprachen von Saddam und George W. Bush näherten sich immer weiter an. „Beide missbrauchen den Begriff Gott, ja sie nehmen Gott in Geiselhaft.“

Der mittelständische Unternehmer und Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler (mit dem Roman „Wenn wir sterben“ Star des letzten Bücherherbstes) sagt zur Gespensterfrage: „Ich bin nicht dafür, aber ich bin keine Stimme.“ Er meint damit, dass der Schriftsteller in politischen Dingen als Normalmensch und Staatsbürger spricht, nicht als Medium eines höheren Spezialwissens. Auch zur Autoren-Moral hat er ein skeptisches Verhältnis: Nach dem Schreiben gebe es eine gewisse Leere, die aufgefüllt werden müsse. „Mit Moral geht das am schnellsten: Schnelltankstelle Moral.“

Auffällig ist die Behutsamkeit, mit der viele Autoren zwischen ihrer Rolle als Literaturhersteller und als Politkommentatoren unterscheiden. Bei den Lesern hingegen dominiert die alte Frage, ob Literatur Moral transportiere oder gar an sich schon moralisch sei. Schon zur Messe-Eröffnung hatte Kultur-Staatsministerin Chistina Weiss hart an der Kitschgrenze die humanisierende Wirkung von Literatur beschworen. Für den neuen Moralismus der jüngeren deutschen Literatur – Maxim Biller, Tobias O. Meißner, Benjamin von Stuckrad-Barre, André Kubiczek – trifft das nicht ohne weiteres zu. Erst am Einzelfall der Texte zeigt sich, wer „Die Guten und die Bösen“ sind, wie Kubiczek sein neues Buch nannte, das neben Jonathan Safran Foers „Alles ist erleuchtet“ und Daniel Kehlmanns „Ich und Kaminski“ zu den beachtesten Neuerscheinungen der Messe gehört. Die Autoren beharren beim Reden über den Krieg auf der Trennung ihrer „zwei Körper“, Autoren- und Bürger-Körper. Die mediale Aufmerksamkeit nehmen sie gerne (und meist erstaunlich uneitel) wahr, wenn sie etwas zu sagen haben und etwas sagen wollen.

Bücherpreis, Büßer-Preis

Auch Jakob Arjouni, Autor der Kayankaya-Krimis und diese Saison mit dem Erzählungsband „Idioten“ dabei, will sein Statement als das eines Privatmanns verstanden wissen. Arjouni ist für diesen Krieg. Ihm werde übel, wenn er sehe, wie die Fundamentalpazifisten „sentimental werden und vergessen, ihr Hirn anzuschalten. Für Frieden an sich zu sein, ist wie für gutes Wetter sein“.

Büchnerpreisträger Wolfgang Hilbig ist ebenfalls für den Irak-Krieg - wie sonst wenige unter den Belletristen: „Die Nicht-Gewalt hat nicht funktioniert.“ Deshalb müsse jetzt, so schlimm das sei, Krieg geführt werden. Die UNO sei jedoch nicht gescheitert, wie manche behaupteten: „Das kann nicht ewig so weitergehen mit den Kriegen. Die UNO wird eine wichtige Aufgabe haben; sie wird aufpassen, dass der Irak nach dem Krieg funktioniert.“ Aber auch Hilbig glaubt nicht an die humanisierende Funktion von Literatur: „Lesen lernen heißt nicht Sprechen lernen. Sprechen lernt man vorher“ – und schon im Sprechen sei die Gewalt angelegt.

Über die trashige Gaudi der Deutschen-Bücherpreis-Verleihung wollte man sich dieses Jahr nicht mehr so recht amüsieren. Die Show-Gala und die von vielen als unseriös kritisierten Entscheidungen der Jury wirkten fahl und unbeholfen. Lilo Wanders würdigte in ihrer Laudatio die Klitschko-Brothers, die für „Unser Fitness-Buch“ den von Günter Grass designten „Bücher-Butt“ In der Kategorie „Ratgeber“ erhielten. Man freute sich über Fotos ihrer nackten Oberkörper auf einer Großbildleinwand (auf der Bühne hatten beide etwas an) und über die unprätentiöse Art, sich für den Preis zu bedanken. Den Butt für den schönsten Versprecher der Messe hat Florian-Illies (Generation Golf“) verdient, der die Laudatio auf Zsusza Bánk und ihr Debüt „Der Schwimmer“ hielt. Illies sprach zuerst vom „Büßer-Preis“ und korrigierte dann zielsicher zu „Bücher-Brei“.

Nebenkriegsschauplatz: Die Gerüchtelage über die Umzugspläne der Frankfurter Buchmesse oszillierte während der Messe wieder in Richtung Bankenstadt. Allerdings seien noch einige nicht unwichtige Kleinigkeiten zu verhandeln (10 Prozent Hotelrabatt, Standgebühren für Kleinverlage), wie Buchmessen-Sprecher Holger Ehling andeutete. Hier führt die Drohkulisse möglicherweise zur friedlichen Lösung. Der Möglichkeit nach sind Buchmessen nämlich genau so transportabel, wie sie es in Wirklichkeit nicht sind. Wie bei Gespenstern.

Marius Meller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false