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Kultur: Ein Glas Champagner

Peter von Becker über Wahlerfahrungen mit Stoiber, RTL und Rilke Den weisesten Satz sagte Michael Glos von der CSU, in der Mitte des Abends: „Offensichtlich haben die Wählerinnen und Wähler so gewählt, wie sie gewählt haben.“ Aber auch Edmund Stoiber war nicht schlecht.

Peter von Becker über Wahlerfahrungen mit Stoiber, RTL und Rilke

Den weisesten Satz sagte Michael Glos von der CSU, in der Mitte des Abends: „Offensichtlich haben die Wählerinnen und Wähler so gewählt, wie sie gewählt haben.“ Aber auch Edmund Stoiber war nicht schlecht. Der Mann musste nach dem Frühstück und der Wahl in Wolfratshausen noch nach München aufs Oktoberfest, obwohl er doch kein Bier mag und nicht mal scharf drauf war, den amerikanischen Touristen dort seine Irak-Politik zu erklären. Doch dann fliege er gleich nach Berlin, „um mit meiner Freundin“ – nun machte Stoiber eine Zehntelsekunde Pause, in der wir dachten, das entscheidet die Wahl – „um mit meiner Freundin Angela Merkel“, neue Pause, immer noch Pause, „und natürlich mit meiner Frau die Ergebnisse abzuwarten“.

Acht Stunden später stand das Trio auf der Bühne, im Jubel des Konrad-Adenauer-Hauses, Frau Karin allerdings etwas abseits, in der Mitte der Kandidat und die Freundin, und der Kandidat hatte das Kreuz triumphal durchgedrückt wie noch nie, im Blitzlichtgewitter rückten die beiden immer näher zusammen – jetzt müsste er nur mal ihre Hand nehmen oder den hochgereckten rechten Arm um sie legen, wenigstens für einen einzigen Kameramoment! War aber in sich festgeschraubt. Der Dichter Botho Strauß hätte das „unüberwindliche Nähe“ genannt.

Endlich redet der Siegeshoffnungsnüchterne und sagt, dass er nicht jetzt, aber bald „ein Glas Champagner öffnen“ wolle. Offenbar ein Stoibersches Bacchanal, und eine Spezialabfüllung. Jedenfalls steckt noch der Korken im Glas. Den Korken drin hatten auch ARD und ZDF. Dass sie sich stundenlang nur an ihre jeweils eigenen Hochrechnungen klammerten und nicht einmal auf der Nachrichten-Ebene andere Prognosen und Trends meldeten, war schon ein Witz. Ganz toll wurde es gegen 23 Uhr 15, als die von Uli Wickert moderierten ARD-Tagesthemen ihre ersten fünf Minuten allein dem Wahlsieger CDU/CSU widmeten und sich im ersten Filmbeitrag fragten, ob Baden-Württembergs Kultusminsterin Schavan in ein Kabinett Stoiber eintreten würde. Was die überraschte Frau Schavan verneinte – es war, wie gesagt, viertel nach elf, und weil sich die rot-grüne Mehrheit längst gefestigt hatte, durften wir vorübergehend annehmen, dass die ARD-Tagesthemen verrückt geworden waren. Auch schön. Ratlos waren sie sowieso: Die „Lindenstraße“, die das Erste auf die „Berliner Runde“ der Parteivorsitzenden folgen ließ, konnten sie ja nicht nochmal senden.

Die beiden Öffentlich-Rechtlichen hatten die größten Reporterteams aller Zeiten aufgeboten. Und sie hatten uns vor ein paar Wochen täglich an den Schicksalen flutgeschädigter Handwerker, Bauern und Rentner in den neuen Bundesländern teilnehmen lassen. Alle diese Menschen, die die Wahl mitentschieden haben, kamen plötzlich nicht mehr vor, waren nur noch Statistik. Zur neuen Informationskatastrophe aber wurden die Überhangmandate; und wen Einzelergebnisse in spektakulären Wahlkreisen interessierten (von Möllemann, Däubler-Gmelin, von Scharping, Westerwelle oder Fischer, von SPD-Kandidaten in Klüngel-Köln), der musste früh auf Regionalsender umschalten. Nichts Näheres auch zum Wunder der SPD-Briefwahlstimmen (sonst eine Domäne der Union, der reiselustigen Besserverdiener), und selbst als das CSU-Rekordergebnis von 58,6% bereits feststand, sprach man bei ARD und ZDF noch von „über 60 Prozent“.

Abbitte jedoch werden viele Alt- und Nach-68er nun einem Sender leisten. War die „RTL-Kultur“ nicht ein Synonym für alle Geistesniederungen der Republik gewesen? Diesmal bot RTL für viele seiner Verächter neben CNN den einzigen Trost: Dort lag Rot-Grün schnell vorn, selbst im Kanzleramt wollte man’s zunächst kaum glauben. Und als die Parteistrategen wechselnder Couleur beteuerten, was die „Disziplin“ von Koalitionen steigere, haben wir endlich das wahre Wahlziel aller Parteien erfahren: ein möglichst knappes Ergebnis. So hat auch Rilke Recht, einmal mehr: Wer redet von Siegen, Überstehen ist alles.

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