zum Hauptinhalt

Kultur: Ein Herz für Deutschland

Udo Lindenberg, Heinz-Rudolf Kunze & Co fordern eine Quote für deutsches Liedgut im Radio.Das Zentrum der Bewegung sitzt in Lüneburg: Ein Besuch beim Deutschen Rockmusikerverband.

Udo Lindenberg, Heinz-Rudolf Kunze & Co fordern eine Quote für deutsches Liedgut im Radio.Das Zentrum der Bewegung sitzt in Lüneburg: Ein Besuch beim Deutschen Rockmusikerverband.VON CRISTINA MOLES KAUPPUdo Lindenberg hat unterschrieben.Auch Bed & Breakfast, die Fantastischen Vier, Matthias Reim, Wolfgang Niedecken und Heinz-Rudolf Kunze setzten ihren Namen unter eine Deklaration, die, auch nach Monaten, wie kaum eine andere zuvor die Gemüter erregt.Denn rund 500 Bands, Musiker, Komponisten und andere maßgeblich am deutschen Musikbusiness Beteiligte fordern frech die Quote für ihre Songs.Waren es bislang rund zehn Prozent, so wollen sie künftig mindestens zu 40 Prozent in den Musikprogrammen der öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksender vertreten sein.Nur so ließe sich deutsches Kulturgut hegen und pflegen, habe auch der Nachwuchs eine Chance gegen die Allmacht des anglo-amerikanischen Kulturimperialismus. Der deutsche Musikmarkt ist zwar vielfältiger als sein Ruf und boomt seit gut drei Jahren wieder in den Hitparaden, besser sogar als zur besten Zeit der Neuen Deutschen Welle.Trotzdem: in den Klangteppich der auf Kommerz orientierten Formatprogramme lassen sich die Songs unbekannter deutscher Musiker nur schwer einweben.Also her mit der Quote, beim Nachbarn Frankreich hat sie schließlich auch funktioniert. Nichts da! Empörung raschelt unisono durch die Musikpostillen: jede Stunde "Herzilein" - das sei zuviel der Zumutung, man kenne doch die Qualität der Klänge made in Germany.Staatlich verordnete Quotenregelung grenze an Zensur, auch der Vorwurf rechtslastiger Deutschtümelei schlägt den Quotisten entgegen, überhaupt: Was gut ist, setzt sich immer durch.Der ganze Quotenquatsch könne nur unverbesserlichen Vereinsmeiern einfallen wie Ole Seelenmeyer, dem Vorsitzenden des Deutschen Rockmusikerverbandes (DRMV) sowie Initiator und Hauptverfechter der Quotenforderung. Doch Seelenmeyer begegnet solchen Vorwürfen mit Gelassenheit.Seit rund zwanzig Jahren engagiert er sich für die Rechte der Rocker, wie er seine Musiker nennt. In den siebziger Jahren, als Seelenmeyer seine ersten musikalischen Gehversuche unternahm, mußte er bald feststellen, daß "Rocker in Deutschland verdammt rechtlos sind, ohne Lobby, ohne Partei, ohne Gewerkschaft".So gründete er 1980 den Interessenverband Lüneburger Musiker, der 1985 in den Deutschen Rockmusikerverband umgewandelt wurde."Rocker sind zwar Einzelgänger und Individualisten, aber wenn es um Probleme mit dem Musikbusiness geht, macht Gemeinschaft wieder stark", gibt sich Seelenmeyer kämpferisch.Inzwischen zählt der DRMV über 5000 Mitglieder, gegliedert in 16 Landesverbände.Der Verein organisiert alljährlich das Bundesrockfestival und eine Kulturwoche mit Seminaren und Workshops, gibt eine Vereinszeitung, "Rock-Musiker - Kulturzeitung für Rock & Popmusik", 30 000 Auflage, heraus und hat vor elf Jahren ein eigenes Label namens Rockwerk gegründet, auf dem alle vertragslosen Musiker ihre CDs veröffentlichen können - CDs mit Labelcode für die Abrechnung mit der Gema und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL).Für seine Sache hat Seelenmeyer das idyllisch gelegene Elternhaus in Lüneburg zur Anlaufstelle für alle Ratsuchenden umfunktioniert.Das Atelier seines als Bildhauer arbeitenden Vaters dient heute als kleines Tonstudio und wird größtenteils für Demoaufnahmen genutzt.Bewacht von Katzen, Hunden und Vögeln bewältigen Seelenmeyer und seine Helfer und Helferinnen das Beratungspensum zu Themen wie Gema, GVL, Künstlersozialkasse und checken Schallplattenverträge - rund 50 Anrufe, 20 Faxe und ein Stapel Briefe erhält der DRMV täglich zu diesen Problemen.Für die Mitgliedschaft im DRMV zahlen Einzelpersonen 100 Mark, Bands 150 Mark im Jahr.Weitere Einkünfte fließen in Form von Fördergeldern aus einzelnen Bundesländern. Seelenmeyer hat sich der Kulturarbeit an der Basis verschrieben.Für ihn ist Kultur, was die Massen bewegt - Popkultur.Gleichrangig mit der Hochkultur brauche sie Subventionen vom Staat - weitaus mehr als die bisherigen Brosamen.Doch nicht nur Geld, auch geistige Nahrung und kulturpolitisches Profil vermißt Seelenmeyer in der deutschen Politik, speziell bei den Kultusministern.Als leuchtendes Gegenbeispiel führt er den ehemaligen französischen Kultusminister Jack Lang an.Vor allem Einflußnahme auf die Medien zur Stärkung des nichtkommerziellen Bereichs wünscht er sich als Gegengewicht zu Dudelfunk und von der Plattenindustrie beeinflußten TV-Programmen à la Viva. Seelenmeyers Vision: Heerscharen von Krautrockern, leichtfüßige Zeremonienmeister des Easy Listening, Schlagerdandys und Rapper mit dialektgefärbtem Zungenschlag, Techno-DJs, Chöre und Rocker in seliger Eintracht vereint.Ein neues Pop-Deutschland per Dekret, das Utopia spritziger Popkultur mit Musik für Kopf und Seele - eine nicht für alle betörende Vorstellung.Dabei ist es Seelenmeyer im Gegensatz zu Kunze und Konsorten völlig egal, ob die Quotenkünstler deutsch texten, er selbst singt schließlich auch englisch.Unwichtig, ob sie türkische Folklore, Arbeiterlieder, Schlager, Metall, Rap oder Rock zum Besten geben.Einziges Kriterium: Menschen, die in Deutschland singen, trommeln und komponieren, Zugang zu den Medien bekommen.Selbst Qualitätsurteile stellt er hintenan - außer BAP fällt ihm spontan keine gute deutsche Band ein: "Hinter BAP stehen Persönlichkeiten.Ich mag Sänger, die gesellschaftspolitische Texte schreiben.So wie Bruce Springsteen.Aber die Musik, die in Deutschland gemacht wird, gefällt mir nicht besonders, ist mir zu fade.Ich mag rebellische Leute." Ole Seelenmeyer jedenfalls wundert sich über die Quoten-Kritiker: "Seltsam finde ich, daß Leute aus dem linksradikalen Bereich plötzlich in dasselbe Horn stoßen wie die Bosse der privaten Rundfunkanstalten, die nur ans Geld denken.Den Privaten geht es nicht um Kultur, sondern nur um Einschaltquoten, Reichweite, Werbeeinnahmen, um Geld.Sie haben uns die Hölle heißgemacht, wir würden sie bevormunden wollen, sprachen von Zensur.Ebenso die Linken, die uns außerdem vorwerfen, wir wollten eine multikulturelle Wende von rechts.Was völliger Quatsch ist!" Unter der Deklaration stehen jedenfalls neben Stephan Remmler und Konstantin Wecker auch Sprecher der SPD und der Grünen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false