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Auch gefährdet. Amsterdams Stadtbibliothek, entworfen von Jo Coenen. Foto: laif

© v.d. Broek/Hollandse Hoogte/laif

Kultur: Ein Hobby der Rechten

Die Niederlande erleben schmerzliche Einschnitte im staatlichen Kulturhaushalt

Vom „Kulturmarxismus“ und dessen Vorherrschaft in Europa ist in dem kruden Pamphlet des norwegischen Attentäters die Rede (siehe Seite 3 in dieser Ausgabe). „Kulturmarxismus“ ist im Rechtsradikalismus ein Sammelbegriff nicht nur für Kultur, sondern ebenso für das gesellschaftliche Miteinander einer heterogenen, durch Immigration und Teilhabe samt deren Problemen gekennzeichneten Gesellschaft. Für welches Land träfe diese Begrifflichkeit, dem eigenen Selbstverständnis nach, stärker zu als auf die Niederlande! Und dort, auch dort, steht die gewachsene Kulturlandschaft auf dem Spiel.

Die rechtsliberale Regierung aus VVD und CDA hat erhebliche Einschnitte bei den staatlichen Aufwendungen für Kultur verfügt, den Populisten Geert Wilders fest im Blick, der Hochkultur als „linkes Hobby“ abtut. Ohne Wilders’ und seiner Partei Billigung stürzt die Regierung. Auf dem Kampfplatz der Kultur werden die Opfer gebracht, die der Rechtsaußen verlangt.

Die politische Rechte, ganz gleich in welchem Land und welcher Mentalität, ist traditionell gegen (Hoch-)Kultur. Damit soll und darf keine gerade Linie zum norwegischen Attentäter gezogen werden. Doch ist es ein Kernbestandteil nationalistischer, provinzieller oder auch nur wirtschaftsliberaler Propaganda, gegen Kultur zu sein, vor allem gegen deren staatliche Förderung.

Dass mit Kürzungen ein aus dem Ruder laufender Staatshaushalt nicht saniert werden kann, wissen zwar auch deren Exekutoren; in den Niederlanden wird ab 2013 ein knappes Viertel des „Rijks“-Budgets für Kultur gestrichen, doch ergibt das gerade einmal 200 Millionen der insgesamt 18 Milliarden Euro, die die Mitte-rechts-Regierung in den kommenden Jahren an „sozialistischen Wohltaten“ einsparen will.

Und doch sind in Holland weder Proteste zu vernehmen, noch scheint der Kulturbetrieb zum Nothalt gezwungen zu sein, von derzeitigen, sommerbedingten Spielpausen abgesehen. Die wirtschaftsliberale Regierungspolitik hat auch nichts gegen Kultur, behauptet sie, sie hat nur etwas gegen deren Bezuschussung aus Steuergeldern. Gleichgültig ist ihr dabei, dass die größten Nutzer des Kulturangebots – das gebildete Bürgertum – zugleich den größten Beitrag zum Steueraufkommen liefert. Es geht der Regierung um ihr Glaubensbekenntnis zum „Markt“. Nur was sich am Markt durchsetzt und verkauft, sei wert, gefördert zu werden. Dazu zählen die Oper in Amsterdam – nebenbei die einzige in den Niederlanden –, natürlich das traditionsreiche Koninklijk Concertgebouworkest – das sich seinen Besuchern ohnehin lieber englisch als „Royal Concertgebouw Orchestra“ ankündigt –, dazu die großen Museen, allen voran die Amsterdamer Trias aus Rijksmuseum, Stedelijk Museum und Van Gogh Museum. Diesen Häusern wird es möglich sein, schrumpfende Etats durch saftige Eintrittsgelder auszugleichen. Wenn sie denn geöffnet sind: Denn der Umbau sowohl des Rijksmuseums als auch des Stedelijk Museums dauert seit Ewigkeiten an, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.

„Nederland schreeuwt om cultuur“, lautete der Slogan im Juni, als die Abstimmung in der Zweiten Kammer des Parlaments in Den Haag anstand. Doch der „Schrei nach Kultur“ ist seither verhallt. Die Förderung von experimenteller Kultur, von Talentschmieden, von kreativen Initiativen, die weniger für Publikum als für die Ausbildung ihres eigenen Könnens und damit letztlich für den Nachwuchs der „großen“ Häuser arbeiten, wird am stärksten leiden. Der Eigenfinanzierungsanteil, von der Regierung auf 17,5 Prozent angesetzt, ist für publikumsschwächere Orchester, Kompagnien, für literarische Zeitschriften oder Ateliergemeinschaften nicht zu stemmen. Sie werden aufgeben und spurlos verschwinden. Allein schon die bereits in Kraft getretene Streichung des vergünstigten Mehrwertsteuersatzes von sechs Prozent auf Kulturgüter trifft die „Kleinen“ ins Mark.

Vielleicht handelt es sich beim „Schrei nach Kultur“ derzeit noch um Jammern auf hohem Niveau. Holland ist alles andere als eine Kulturwüste. Ein Beispiel sind die Öffentlichen Büchereien. Der hochgelobte, 2010 eröffnete Neubau der Amsterdamer „Openbare Bibliotheek“ gilt mit 1,5 Millionen Büchern auf 28 000 Quadratmetern Nutzfläche als größte Volksbücherei Europas. Nur fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt erstreckt sich über sieben Stockwerke diese Zentrale eines dichten Netzes von Stadtteilbüchereien, mit aller erdenklichen Technik für die Nutzer ausgestattet. In der Retortenstadt Almere mit ihren mittlerweile 150 000 Einwohnern findet sich mitten im Zentrum eine ähnlich großzügige Bibliothek, um Stunden länger geöffnet als die Ladengeschäfte ringsum.

Die Häuser sind da, für alle Sparten der Kultur. Nur geht die Sorge um, dass sie in Zukunft nicht mehr in der Lage sein werden, ihr Angebot aufrechtzuerhalten. Ein Angebot für alle – und nicht nur für diejenigen, die es sich leisten können.

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