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Kultur: Ein jeder Festredner ist schrecklich

Die Keule vermeiden und trotzdem etwas sagen: Péter Esterházy in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Buchhandels

Von Gregor Dotzauer

Sagen wir: Er war bescheiden genug, nicht von sich selbst zu sprechen – jedenfalls nicht gleich. Oder sagen wir: Er war eitel genug, sich die Bescheidenheit zu leisten, andere für sich sprechen zu lassen – zum Beispiel Rilke. „Ein jeder Festredner ist schrecklich, so werde ich beginnen“, erklärte Péter Esterházy zu Anfang seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche. Da sind wir bei der ersten „Duineser Elegie“, beziehungsweise einer Verfremdung derselben. Denn anstelle eines Festredners müsste eigentlich ein Engel stehen. Aber wer hätte beim Anblick von Esterházys grauen Locken und dem schelmischen Puttengesicht nicht ein geflügeltes Wesen assoziiert, zu dem natürlich auch geflügelte Worte gehören.

Sagen wir also: Esterházy war bescheiden genug, sich lediglich die kleine Eitelkeit zu leisten, prononciert bescheiden aufzutreten. Oder muss man weitere Meta-Knoten schnüren, um den ironischen Hinterhalten dieses ungarischen Schriftstellers gerecht zu werden? Und wo wir schon dabei sind: Was heißt sagen? (Wo es doch gerade ums Schreiben geht.) Wer ist wir? (Wo Esterházy nicht einmal dem Wörtchen „Ich“ – „was das auch immer bedeuten mag“ – vertrauen wollte.) Und gibt es einen Weg, Esterházy nicht-esterházysch zu referieren, in gebunden-analytischer Sprache, die das, was er am Sonntagvormittag vortrug, sozusagen ein zweites Mal ins Deutsche übersetzt, nachdem Zsuzsanna Gahse seine Rede bereits aus dem fernen Ungarisch ein bedeutendes Stück herangezoomt hatte?

Es gibt ihn, weil nicht einmal der ungekrönte Zitatenverwurstungskönig der zeitgenössischen Literatur von ungehindert zitierfähigen Sätzen absehen konnte, in denen die paradoxen Bewegungen seines Denkens zeitweise zum Stillstand kamen – obwohl er zuvor mit unbewegter Miene dekretiert hatte: „Der Ernst ist keine Heimat für mich, das ist nicht der Ort, wo ich zu Hause bin, deshalb möchte ich weiterhin dem europäischen Unernst die Ehre erweisen.“ Denn wer etwas nach Hause tragen wollte, durfte sich Sätze merken wie diese: „Die Sprache der Literatur ist nicht die der Verständigung, sondern die des Schöpferischen. Aus nichts etwas machen – das ist nichts für Gentlemen. Die Literatur ist nicht für Literaturpreise geschaffen. Die Literatur gehört nicht zur Rechtmäßigkeit, nicht zur Toleranz, sondern zur Leidenschaft und zur Liebe. Mit der Liebe wird man keine Gesellschaften bilden, dafür ist sie nicht zuverlässig genug. Die Literatur ist kein Botschafter des Friedens; sollte die Botschaft überhaupt jemandem gehören, dann der Freiheit. Die Freiheit aber will mal den Frieden, mal den Krieg.“

Etwa bei Louis-Ferdinand Céline, den Esterházy als Zeugen nannte: „Was für ein beschissener Mensch, was für ein großer Schriftsteller!“ Aber man würde Esterházy missverstehen, wenn man in ihm jemanden sehen wollte, der Célines Eruptionen nacheifert. Und man würde ihn unterschätzen, wenn man seinen bescheidenen Hinweis auf das „übrigens ganz hervorragende Nachwort“ in dem diesen Sommer bei Rowohlt erschienenen Buch „Ein Held seiner Zeit – Die Bekenntnisse des Kornél Esti“ vor allem als eitles Selbstlob deuten würde – und nicht als Lobpreis eines Hausgottes über dem Esterházyschen Bücheraltar, des 1936 gestorbenen Dezsö Kosztolányi und seiner romantisch irrlichternden Hauptfigur.

Doch der Reihe nach, aber wie, wenn zwischendurch von der Keule die Rede sein muss, die Esterházy schwang: als Referenz auf, doch sicher nicht Reverenz vor Martin Walser, der vor sechs Jahren am selben Ort mit der „Moralkeule Auschwitz“ hantiert hatte. Bei Esterházy handelte es sich eher um eine Lammkeule nach dem Rezept von Klaus Trebes, gewürzt mit Knoblauch, Schalotten und Zitronenthymian, aber auch das nicht wirklich: „Wovon ist hier die Rede? Ich lasse mich durch die Wörter vorantreiben.“ Und er zitierte eine Tante, die gesagt haben soll, sie lese keine Bücher, die man zusammenfassen kann. „Und ich, ich möchte keine solchen Bücher schreiben“ – weshalb, wann immer es ihm passte, ausdrückliche Zitate von Ernst Jandl bis Mick Jagger durch seine Rede schwirrten – und ein paat unausdrückliche Passagen aus seinem letzten großen Roman „Harmonia Caelestis“ (erschienen im Berlin Verlag).

Die Ursprünge dieser Subversionslust stammen noch aus dem Kádárschen Gulaschkommunismus, ihr Gebrauch aber ist nicht in der Unverbindlichkeit eines zum internationalen Großschriftsteller avancierten Sprachjongleurs untergegangen. Es sind vielmehr die Flicken, die Esterházy um die Wunden wickelt, die ihm die Geschichte geschlagen hat – zuletzt durch die Entdeckung, dass sein Vater dem ungarischen Geheimdienst über Jahrzehnte als Spitzel diente.

Sie spiegeln die Erfahrung, dass es zwar ein Außerhalb der Sprache gibt, dass es sich aber nur erobern lässt, wenn man durch das Unterholz im Inneren kriecht – und beides unaufhörlich gegeneinander hält: „Kein Zufall, dass es für Vergangenheitsbewältigung im Ungarischen kein Wort gibt. Das Wort fehlt, weil die Tätigkeit fehlt, die Wörterbücher empfehlen umschreibende Begriffe. Das sollte ich, fällt mir gerade ein, vielleicht nicht kritisch hervorheben, denn womöglich geht es hier darum, dass die ungarische Sprache das, was die deutsche vergessen hat, noch weiß, dass man nämlich die Vergangenheit nicht bewältigen kann.“

Unter den noblen und intelligenten Friedenspreisreden der jüngsten Vergangenheit war die von Péter Esterházy gewiss die schillerndste. Wenn etwas das Glück an diesem Sonntagvormittag noch steigerte, so war es die Laudatio von „Zeit“-Herausgeber Michael Naumann: Soviel Affinität und Empathie gibt es nur alle Jubeljahre.

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