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Warten auf die Rebellen: Youssouf Djaoro spielt in "Ein Mann, der schreit" den Vater Adam.

© Cineglobal

"Ein Mann, der schreit": Vater-Sohn-Epos aus dem Tschad

Rivalität und Schuld: Der neue Film von Mahamat Saleh Haroun schildert vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs im Tschad einen Vater-Sohn-Konflikt.

Der Tschad ist nicht Libyen, wo ein Aufstand gegen einen Machthaber von der Blutgruppe Saddam Husseins derzeit mit internationaler Hilfe zum Erfolg gebombt werden soll. Der Tschad ist auch nicht die Elfenbeinküste, wo ein rechtmäßiger Wahlsieger einen abgewählten Staatschef derzeit im Wege bürgerkriegsähnlichen Gemetzels und mit französischer Hilfe von der Macht verdrängt.

Der Tschad, südlich an Libyen angrenzend und über die zentralafrikanischen Staaten mit der Elfenbeinküste verbunden, ist ein von Kriegen zerrütteter Staat von Anfang an. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 ließen sich die Gewaltherrscher allenfalls durch Gewalt vertreiben; zeitweise versuchte Gaddafi, das Wüsten- und Savannenland seinem Libyen einzuverleiben, zeitweise herrschte Frankreich als fragwürdige Schutzmacht weiter, und neuerdings kommt das Land wegen der Rebellenbewegungen aus dem Sudan kaum mehr zur Ruhe. Im Tschad schließt niemand mit niemandem Frieden, hier gibt es allenfalls Kriegspausen – aus Erschöpfung.

Geprägt von dieser Welt, dreht der im Unabhängigkeitsjahr geborene Mahamat Saleh Haroun seine Filme. Sie erzählen von einer auf Gewalt gebauten Welt und versuchen gleichzeitig, ihr durch Beharren auf Moral zu entrinnen – in eindringlichen Parabeln, die selber wiederum dem ihnen innewohnenden Pathos zu entrinnen suchen. In seinem 2006 in Venedig preisgekrönten „Daratt“ ist es ein blinder, alter Mann, dessen Sohn ermordet wurde und der seinen inzwischen 16-jährigen Enkel beauftragt, diesen Mord zu rächen. Nur was, wenn der Mörder sich als friedlicher Bäckereibesitzer entpuppt, durchaus geeignet zur Ersatzvaterfigur?

„Ein Mann, der schreit“, vergangenes Jahr in Cannes mit dem Jury-Preis ausgezeichnet, erzählt im Gewand einer weniger metaphorischen Vater-Sohn-Konstellation eine Geschichte von Rivalität und Schuld. Adam (Youssouf Djaoro), den alle „Champion“ nennen, weil er einst Schwimmstar Zentralafrikas war, arbeitet am Pool eines feinen Hotels in Tschads Hauptstadt N’Djamena. Weil das Hotel nach einem Besitzerwechsel aber straff Personal einspart, muss Adam den Bademeisterjob an seinen Sohn Abdel (Diouc Koma) abgeben und stattdessen an der Schranke des Hotelkomplexes Dienst tun. In monströser Uniform statt in schicker weißer Pool-Kluft, zudem ohne das hoteleigene Moped mit Beiwagen, macht Adam die bestürzende Erfahrung, dass Vaterliebe erodieren kann, bis zum Verrat in aller Stille.

Hier kommt, zunächst subtil, der Krieg ins Spiel. Immer wieder überzieht Flugzeuglärm den immer eigentümlicheren Mikrokosmos des Hotels, dessen Gäste bald eher Soldaten als Touristen sind. Draußen in der Stadt rekrutiert die Armee derweil immer ruppiger junge Männer für die Wüsten-Einsätze gegen die Rebellen – und deren Familien können sich dem Druck immer weniger durch Ablasszahlungen entziehen. Irgendwann, ein böses Menschenwunder, darf sich der pflichtversessene Adam beruflich getröstet fühlen. Nur hat seine Arbeit unterdessen jeden Sinn verloren.

Mahamat Saleh Haroun erzählt seine universelle, auf einen Familienkonflikt heruntergebrochene Geschichte in eindrücklichen Bildern und mit unverwechselbar afrikanischer Langsamkeit. Und mit einer Lakonie, die nicht dem Geschwätz Einhalt gebietet, sondern einer tiefen Ruhe entsprungen scheint. Einmal sitzen Vater und Sohn beim Abendessen stumm beieinander, und es ist nur die Mutter (Hadjé Fatimé N’Goua), die immer wieder zu sprechen beginnt: Sie lenkt nicht ab von der Unbehaglichkeit, sondern spricht ausdrücklich in sanften, entschiedenen Anläufen in das so unvertraute Schweigen hinein. Eine lange, wunderbare Szene.

Es ist, neben der souverän beiläufigen Entfaltung des Plots, vor allem dieses so andere Erzählen, das hier besticht. Aus ihm erwächst, bei allem Wissen ums Weltkino, eine Weite und Großzügigkeit, wie sie so nur fern von Hollywood und fern auch von europäischen Filmsprachen gedeiht. Und wenn gegen Ende hin Film und Zuschauer dann doch sachte aneinanderstoßen, und es tönt ein bisschen tönern, dann muss das – frei nach Lichtenberg – nicht unbedingt am Filme liegen.

Zu sehen im: Central, fsk, Kant (alle OmU)

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