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Fast ein halbes Jahrhundert nach der Geburt. Zauberwürfel und Schöpfer im Januar 2020 bei der Nürnberger Spielwarenmesse.

© Daniel Kamann/dpa/p-a

Ein Meister und sein Spielzeug: Wie der Zauberwürfel das Leben seines Erfinders prägte

Das berühmte Drehpuzzle begeistert weltweit Millionen von Menschen. Der Designer Ernö Rubik erzählt nun in einem Buch die abenteuerliche Geschichte dahinter.

Erfinder lösen für gewöhnlich Probleme. Nicht so der junge Ungar Ernö Rubik in seinem chaotischen Zimmer im Budapest des Jahres 1974. Er halste im Gegenteil sich selbst – und in der Folge der ganzen Menschheit – ein gigantisches Problem auf, als er die Seiten eines Würfels mit unterschiedlich farbigen Aufklebern versah und mit dessen quadratische Einzelteilen zaghaft einige Drehungen vollführte.

Schon nach wenigen Handgriffen fand er nicht mehr zurück in die ursprüngliche Ordnung. „Die Farben waren jetzt so durcheinander, dass aus dem anfänglichen Nervenkitzel, sie möglichst wieder in die Ausgangsstellung zu bringen, blanke Mutlosigkeit wurde. Es war, als würde ich verständnislos auf einen Geheimcode starren, den ich selbst geschaffen hatte, aber nicht entschlüsseln konnte.“

Es sollte einen ganzen Monat dauern, bis er alle Quadrate wieder akkurat gruppiert hatte. Hier könnte die Geschichte enden, doch Rubik hatte ein Fieber ergriffen. Er zerstörte die Ordnung gleich wieder, um das Rätsel erneut zu lösen. Ein paar Jahre später ging es Millionen Menschen weltweit nicht anders.

In „Cubed“ erzählt Rubik nun erstmals in Buchform seine Geschichte und die seiner Schöpfung. Der Sohn eines erfolgreichen Flugzeugdesigners löste schon früh Rätsel oder entwarf am liebsten selbst welche. Anstatt dem Unterricht zu folgen, malte er unentwegt, interessierte sich für Formen und versuchte ihnen mit Stift und Papier ihre Geheimnisse zu entlocken.

Er studierte Architektur und nahm eine Stelle als Dozent an einer Hochschule für Gestaltung an. Häufig versuchte er seinen Studenten mit Hilfe von Designobjekten die Beschaffenheit des dreidimensionalen Raums oder der Geometrie näherzubringen und ihnen die „Raumblindheit“ auszutreiben, also „die Unfähigkeit räumliche Beziehungen zu begreifen und das mangelnde Vermögen, sich im Raum zu orientieren“.

Eine Mischung aus Biografie, Designtheorie und Ratgeberliteratur

Immer wieder entwarf er dreidimensionale Objekte für den Unterricht. Der Cube aber verließ den Seminarraum und landete in Händen von Erwachsenen und Kindern gleichermaßen, und als Insignie der Achtzigerjahre tauchte er auch in zahllosen Filmen und Kunstwerken auf.

Als er 1977 auf den Markt kam, änderte sich das Leben seines Erfinders schlagartig. Rubik durfte zur Bewerbung seines Produkts den Ostblock verlassen, bereiste die Welt und kam schon im Sozialismus zu Wohlstand.

„Cubed“ ist eine Mischung aus Biografie, Einführung in Designtheorie und Ratgeberliteratur. Immer wieder vollzieht der Autor thematische 180 Grad-Wendungen. Gerade noch ging es um Farben, um geometrische Formen, Winkel und die Erdanziehung, schon widmet sich Rubik der Notwendigkeit des Misserfolgs oder den zahlenmystischen Qualitäten seiner Schöpfung zu.

Das Buch ist gewissermaßen das neueste Rätsel des Erfinders

Er, der immer wieder betont, was ihm das Schreiben für eine Last ist, hat sichtlich kein Interesse an einem roten Faden. Ihm sind die Abwege und Gedankensprünge kostbarer, zudem ist er ein unzuverlässiger Erzähler. Selbst wer Rubik ist, behauptet der inzwischen 76-Jährige nicht so genau zu wissen, lässt sich lediglich auf die Formel: „ein Mensch, der gerne spielt“ ein. So erweist sich auch dieses Buch als ein Spiel, als neuestes Rätsel des Erfinders.

Man sollte nicht mit dem Anspruch auf Antworten an die Lektüre herangehen, denn Rubik schätzt Probleme in ihrer reinsten Form – Probleme, denen noch nicht die Anmaßung einer Lösung widerfuhr.

Auch wer darauf hofft, der Meister verrate einen Trick, wie man dem Würfel am besten begegne, wird enttäuscht werden. „Es gibt keine Tricks“, behauptet er schon auf einer der ersten Seiten und behandelt statt der Wie- im Folgenden lieber die Warum-Frage: Warum sollte man überhaupt versuchen, das Rätsel des Würfels zu lösen?

Für Rubik liegt die Antwort in seinem Selbstverständnis. Er sieht sich bis heute als Amateur im Sinne der etymologischen Wurzel des Wortes, also als Liebhaber: „Man liebt seinen Gegenstand. Man liebt den Prozess. Man liebt das Ergebnis.“ Die Motivation, sich mit einem Problem zu befassen, es zu lösen oder es – wie in seinem Fall – überhaupt erst in die Welt zu setzen, besteht in einer intrinsischen Motivation, einer Begeisterung, die nur durch sich selbst vergolten wird.

Geld, Ruhm und Popularität interessierten ihn nie

Es verwundert nicht, dass er in seiner Erfindung ein großes didaktischen Potenzial erkennt, spricht der Cube für ihn neben kognitiven doch auch motorische und emotionale Potenziale an. Überhaupt scheint es ihm beim Cube gar nicht so sehr um logische Fähigkeiten als vielmehr um Gefühle, um Beharrlichkeit, Frustration, Freude am Erfolg zu gehen – wie auch schlicht daran, den formschönen Gegenstand in Bewegung zu bringen.

Rubik könnte sicher Wochen ohne Pause vom Potenzial des Würfels und seinen Abenteuern in aller Welt erzählen, über seine eigene Rolle beim Hype des Würfels erfährt man derweil erstaunlich wenig. Es ist, als habe Rubik in seinem Leben ohnehin nie etwas geplant, als sei er immer mit dem gerade angefallenen Projekt vollauf beschäftigt gewesen.

[Erno Rubik: Cubed. Der Zauberwürfel und die großen Rätsel dieser Welt. Aus dem Englischen von Andreas Wirtensohn. C.H. Beck Verlag, München 2020.

215 Seiten, 19,95 €.]

Geld, Ruhm, Popularität, das alles habe ihn nie interessiert. Seine Erfindung versetzt den selbstgenügsamen Bastler hingegen nach wie vor in Begeisterung. Das klingt mitunter unfreiwillig komisch, etwa wenn er im weltweiten Erfolg des Würfels unverhofft dessen humanistisches Potenzial erkennt: „Der Cube hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass es so etwas wie ein universelles Wesen des Menschen gibt, eine menschliche Natur, die nichts mit Alter, Status oder ethnischer Herkunft zu tun hat, die unabhängig davon ist, wo jemand geboren wurde oder wovon, wo und wie jemand lebt.“

Der Cube spricht auch selbst im Buch

Der Würfel ist alles, sein Erfinder nur ein stolzer Amateur? So einfach ist die Sache dann doch nicht. Der Ungar bezeichnet seine Erfindung als sein „ältestes Kind“, aber die beiden scheinen sogar weitaus enger miteinander verbunden zu sein. Der Cube spricht schließlich selbst in seinem Buch, er hat das Vorwort verfasst. Am Ende werden Schöpfung und Schöpfer gemeinsam interviewt.

Man könnte das als kindischen Einfall abtun, aber tatsächlich ist der Würfel wohl über Rubik hinausgewachsen. Er hat ihn in Kontakt gebracht mit über einer Milliarde Menschen, die seine Erfindung in den Händen hielten. In diesem Verhältnis erweist sich, was Rubik über Design und Raum schreibt.

Der Cube hat seine eigene Raumblindheit kuriert, in einem globalen Maßstab. Rubik nimmt bis heute an jedem Speed-Cube-Wettbewerb Anteil, bei dem sich Menschen seinetwegen versammeln, an jedem Würfel, den er auf seinen Reisen unverhofft erblickt.

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