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Kultur: Ein milder Wilder

Selbst Adorno hörte zu: Zum Tod des Jazzgitarristen Volker Kriegel

Auf einem Foto aus dem Jahr 1971 sitzt Volker Kriegel mit seiner Jazzgitarre auf der Bühne der Berliner Jazztage, den Blick auf den Boden gerichtet, in höchster Konzentration. Das braune Haar des damals 28-Jährigen wellt sich über den Ohren, eine überdimensionierte Hornbrille ragt über die Nasenflügel. Wie der junge Woody Allen sieht er aus. Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden lassen sich kaum übersehen. Wie beim ambitionierten Hobbyklarinettisten Woody Allen war auch bei Volker Kriegel die Leidenschaft für die Musik stets gepaart mit einer unbestechlichen Ironie, mit einer Sicht auf die Welt, die sich weigerte, die Dinge – selbst die Musik – zu ernst zu nehmen. Wie sonst soll man es verstehen, dass Kriegel als Soziologiestudent am Frankfurter Institut für Sozialforschung bei Adorno höchstpersönlich eine Prüfung ablegte, und zwar ausgerechnet über dessen berüchtigte Jazzkritik. Er muss den Professor ganz ruhig demontiert haben, ohne Affront, mit einem fast unmerklichen Lächeln um den Mund, so wie Kriegel später seine Bühnenauftritte gestaltete. Adorno, so will es die Legende, hatte dem nichts entgegenzusetzen: Er gab Kriegel eine Eins. Um diese Zeit lernte Kriegel in der Frankfurter Jazzszene auch die Brüder Albert und Emil Mangelsdorff kennen, den Bassisten Eberhard Weber, kurz: alle, die versuchten, dem deutschen Jazz ein eigenes Gesicht zu geben. Wohl auch deswegen wendete er sich bald vom eleganten Mainstream-Jazz eines Jim Hall oder Wes Montgomery ab und begann, sich mit Rockjazz zu beschäftigen. Er gehörte zu den Gründern des United Jazz + Rock Ensemble, der wichtigsten deutschen Rockjazz - Bigband, und für das Mild Maniac Orchestra zeichnete er allein verantwortlich. Den Namen Mild Maniac darf man als Selbstporträt verstehen. Seit den achtziger Jahren konzentrierte er sich zunehmend auf die Schriftstellerei und die Zeichenkunst. Er veröffentlichte ein Kinderbuch nach dem anderen, kleine skurrile Welten, die nicht zuletzt einen Blick auf die Musik eröffnen jenseits der Klischees der Jazzkritik. Am Sonntag ist Volker Kriegel in Spanien im Alter von 59 Jahren nach kurzer Krankheit gestorben.

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