zum Hauptinhalt

Kultur: Ein Orchester will mehr

KLASSIK

Entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt: Von Zeitgenossen des Hector Berlioz wissen wir, dass das Gefühlsleben des Komponisten in die Extreme ging. Es wäre in diesen Tagen verständlich, wenn es bei den Berliner Symphonikern innerlich ähnlich auf und ab ginge. Schließlich droht der Senat, das Orchester abzuwickeln. Dass die anderen Berliner Orchester den Kollegen so eindrucksvoll die Solidarität bezeugen, wärmt auch das Herz. Denn im Konzerthaus intonierten Mitglieder aller ansässigen Klangkörper Berlioz’ „Symphonie Fantastique“. Gemeinsam schwelgt man in den Liebeshymnen des Auftakts und steigert sich im zweiten Satz hemmungslos in Walzerdelirien hinein. Beglückend das melancholisch angehauchte Idyll des Adagio-Satzes mit dem raumgreifenden Frage-Antwort-Spiel, bei dem eine Oboe vom oberen Rang her dem Solo des Englischhorns antwortet. Die Dramen des Allegretto und des Schlusssatzes, beide von BSO-Chefdirigent Lior Shambadal mit glühender Energie inszeniert, reißen das Publikum zu stehenden Ovationen hin. Auch „Harold en Italie“ stellt ein „instrumentales Drama“ dar. Berlioz imaginierte sich hier eine Künstlerfigur, die phantastische Klanglandschaften durchschreitet. Der Petersburger Solist Daniel Raiskin lieh der einsamen Seele seinen zärtlichen Bratschen- Ton. Weckt das Lust auf mehr Berlioz? Ja, und sein 200. Geburtsjahr ist noch ebensowenig zuende, wie die Symphoniker am Ende sind.

Jens Hinrichsen

Zur Startseite