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Kultur: Ein Prosit der Ungemütlichkeit

Elfriede Jelineks Polit-Farce aus Leipzig beim TheatertreffenVON GÜNTHER GRACK"Eine Handarbeit", der Untertitel von Elfriede Jelineks Stück "Stecken, Stab und Stangl", ist gleichsam das Stichwort für Kazuko Watanabes Inszenierung: ein gehäkeltes Gesamtkunstwerk.Die zwei Männer und zwei Frauen, die da in trauter Stube beisammen sind, reden sich den Mund fusselig und spinnen sich dabei mit fleißiger Hand in bunte Wollfäden ein.

Elfriede Jelineks Polit-Farce aus Leipzig beim TheatertreffenVON GÜNTHER GRACK"Eine Handarbeit", der Untertitel von Elfriede Jelineks Stück "Stecken, Stab und Stangl", ist gleichsam das Stichwort für Kazuko Watanabes Inszenierung: ein gehäkeltes Gesamtkunstwerk.Die zwei Männer und zwei Frauen, die da in trauter Stube beisammen sind, reden sich den Mund fusselig und spinnen sich dabei mit fleißiger Hand in bunte Wollfäden ein.Hinter ihnen erheben sich die mit den Fotos der Verstorbenen versehenen Grabsteine der vier Zigeuner, die am 4.Februar 1995 im österreichischen Burgenland einem Terroranschlag zum Opfer fielen: "Roma zurück nach Indien." Über ihnen schwebt das Poster eines Schäferhundes, der in Überlebensgröße auf einem roten Plüschsofa thront: Hitlers Liebling oder Kommissar Rex? Die vier Lebenden zerreißen sich das Maul über die vier Toten, die von einer Rohrbombe zerrissen wurden, und über jene unzähligen Toten, die von den Nazis vergast worden sind, und bei alledem verstricken sie sich immer mehr - nicht nur in wärmende Wolle, sondern auch in ein Lügengewebe.Man will es nicht wahrhaben, das Morden: "Einmal muß Schluß sein."Schon beim Berliner Theatertreffen des Vorjahres war Elfriede Jelineks Requiem kennenzulernen, diese aus ingrimmigem Zorn geborene Textcollage, mit sieben Kräften des Hamburger Schauspielhauses üppig instrumentiert von Thirza Bruncken.Das Schauspiel Leipzig zeigt nun mit der Produktion seines "Theaters hinterm Eisernen", daß sich Inhalt und Botschaft des Stücks auch mit kleineren Mitteln transportieren lassen (eine Eins-zu-Eins-Übertragung des Sprachkunstwerks auf die Bühne wäre ohnehin unmöglich).Kazuko Watanabe, die seit 25 Jahren in Deutschland ansässige japanische Regisseurin, Bühnen- und Kostümbildnerin, hat nach eigener Aussage "alles, was in dem Text an Ausländerfeindlichkeit vorkommt, schon selber erlebt" und sich über die Auswahl der Szenen anhand von Zeichnungen mit der Autorin und den Darstellern verständigt.Das Ergebnis, ein 90-Minuten-Abend, zum Theatertreffen in die Freie Volksbühne eingezogen, verdient Respekt vor dem Vermögen, den vielschichtigen Stoff transparent zu machen: für das Grauen hinter dem vordergründigen Spießerspaß.Denn zunächst sind es ja ganz nette Menschen, die sich da häkelnd räkeln: Martina EitnerAcheampong gibt sich als feixende Wuchtbrumme, Karin Pfammatter als verklemmt geile Blondine, Friedhelm Eberle als seriöser älterer Herr und Juergen Maurer als Stimmungskanone - dies freilich ein Typ, der schon mal ungemütlich werden kann, ein Nachfahre des hinterhältigen "Herrn Karl", der Kopf-und-Bauchgeburt des Helmut Qualtinger.Johann-Strauß-selige Sangesfreude schlägt plötzlich um in gefährlich schleimige Behäbigkeit: die Anrede "Werte Herren Tote" an jene vier Roma hört sich wie eine Drohung an, sie und ihresgleichen am liebsten gleich noch einmal unter die Erde zu bringen.Man bläst bunte Luftballons auf und läßt sie platzen wie Bomben.Man mampft die sogenannten Negerküsse, diese süßen schokoladenbraunen Dickmacher, und sieht in ihnen menschliche Fremdkörper: "Darf ich Ihnen noch einen Toten anbieten?" Man hört sich den fröhlich gefiedelten und gezupften Sinti-Swing an, wie er in der Nachfolge des großen Django Reinhardt und seines Hot Club de France auch heute noch gespielt wird, und will nicht erkennen, woran man sich da erfreut.Man meint, daß gleich hinter der Landesgrenze Asien beginnt, und fürchtet, daß die "Hunnis" kommen wie damals beim "großen Völkerspazieren".Andererseits träumt man von der "Bewegung", der braunen offenbar, und beklagt, daß man sie verpaßt hat - was sich jetzt noch bewegt, ist höchstens der Schwanz, mit dem der Schäferhund wedelt, und auch er ist in unseren Showbusiness-Zeiten nicht mehr, was er einmal in jenen tausend Jahren war, als es noch einen Führer gab und nicht nur einen Kommissar.Eine Polit-Farce von schwärzestem Humor.Das Leipziger Quartett und seine zierliche Direktrice ernteten dafür ein freundliches Dankeschön. Wieder am 13.Mai, 20 Uhr, und am 14.Mai, 14 und 20 Uhr, Freie Volksbühne.

GÜNTHER GRACK

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