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Kultur: Ein Querkopf

Zum 70. Geburtstag des Malers Johannes Grützke

So demonstrativ wurde selten um die Aufmerksamkeit des Betrachters gebuhlt wie in diesem Ölgemälde von 1970: Die drei Herren im Gras blicken direkt, aber verkniffen aus dem Bild heraus, Hände werden einladend ausgestreckt, ein dreifaches Lebkuchenpferdgrinsen aufgesetzt. „Komm setz’ dich zu uns“, heuchelt der Bildtitel. Doch das Bild ist ein Fußtritt.

Die Drillinge im Autoverkäufer-Zwirn gibt der Maler selbst – Johannes Grützke, der heute 70 Jahre alt geworden ist. „Ich bin als Einziger immer da, wenn ich ein Modell benötige“, begründete der umtriebige Berliner Maler seine vielfältigen Selbstbildnisse und Rollenspiele. Grützke als großer Nachkriegs-Manierist, Theatraliker, begnadeter Menschen- und Fratzenmaler ist bis zum 18. November in Schloss Gottorf zu erleben. Ab 4. November stellt das Kolbe-Museum die Skulpturen und Reliefs des Jubilars ins Rampenlicht.

Grützke liebt den Wechsel zwischen den Medien. Er hat Traktate, Gedichte und Dramolette geschrieben, entwarf zwischen 1980 und 1988 diverse Bühnenbilder für Peter-Zadek-Inszenierungen. Unvergesslich der Moment, in dem Ulrich Wildgruber in Zadeks „Lulu“ am Hamburger Schauspielhaus gekonnt die steile Grützke-Treppe runterfiel. Verrenkungen, Purzelbäume, exaltierte Gesten sind typisch für Grützkes oft barock wuchernde Bildräume. Die Sprunghaftigkeit seiner Bild-„Erzählungen“ entspricht dem Querkopf: „Bin ich rechts umstellt, werde ich linksextrem, bin ich links umstellt, dann, na ja“, bekannte Grützke. 1972 bespöttelte er „Die Befreiung der Frau durch die Frau“, 1990 karikierte er den Einheitstaumel im Gruppenbild „Die Tankstelle“. Eher Trauer- als Triumphzug ist sein „Zug der Volksvertreter“, ein kritisches Historienbild, dessen Entwurf 1988 beim Wettbewerb für die Frankfurter Paulskirche den Zuschlag bekam.

Stilistisch ist der Mitbegründer der „Schule der neuen Prächtigkeit“ einem Tübke oder Heisig näher als der westdeutschen Avantgarde seiner Generation. Seinen Nürnberger Studenten gegenüber warb der 2002 emeritierte Professor für unablässige Neugier: „Das Bild ist nicht das Ziel unserer Forschung, sondern sein Rest. Ziel ist das Gegenüber: die Welt.“ Jens Hinrichsen

Jens Hinrichsen

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