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Kultur: Ein Sekretär zum Zerlegen

Möbel aus der Roentgen-Werkstatt reisten einst per Kutsche nach Russland. Heute stehen die noblen Stücke im Mittelpunkt der Ausstellung

Sie waren genial und geschäftstüchtig: Rund hundert Sekretäre, Tische, Kommoden und Standuhren verkaufte die deutsche Kunstschreinerdynastie Abraham und David Roentgen im 18. Jahrhundert allein an die Zarin Katharina die Große. Ganze Karawanen gingen mit den kostbaren und aus feinen Hölzern gefertigten Möbeln per Pferdekutsche und sorgsam in Stroh verpackt von Neuwied in Rheinland-Pfalz nach St. Petersburg. In der Eremitage werden sogar die Transportkisten heute noch wie Schätze aufbewahrt.

Anlässlich des 200. Todestages von David Roentgen widmeten drei deutsche Museen in Nürnberg, Neuwied und Berlin in diesem Jahr dem Vater-Sohn-Gespann unter den Kunstschreinern der Extraklasse repräsentative Ausstellungen. Sozusagen als Schlusspunkt bietet eine Sonderschau auf der Berliner Kunst- und Antiquitätenmesse Ars Nobilis das auf, was der Markt aus der Werkstatt Roentgen derzeit noch zu bieten hat.

Wie viele Objekte zwischen 1750 und dem Ausbruch der Französischen Revolution entstanden sind, vermag nicht einmal Volker Wurster, Teilhaber der Bremer Galerie Neuse zu sagen. Der Kunsthändler steuert immerhin acht Objekte zur kleinen, feinen Extraschau auf der Ars Nobilis bei, die fast schon Tradition ist. Er und sein Partner Achim Neuse haben genau vor 30 Jahren erstmals einen Verwandlungstisch von Roentgen an das Rheinische Landesmuseum in Bonn vermittelt. Volker Wurster: „In unserer fast vierzigjährigen Tätigkeit haben wir immer mal wieder ein Roentgen-Möbel erworben und auch entgegen händlerischen Interessen zurückgehalten.“

Das kommt nun der Ars-Nobilis-Schau zugute. So können die Bremer Kunsthändler unter anderem einen herausragenden Rollschreibtisch um 1780/82 aus dem früheren Besitz des Marquis von Bath zeigen. Ein perfektes Beispiel für die kunstvolle handwerkliche Verarbeitung der verschiedenen Ebenhölzer mit Intarsien und Metalleinlagen sowie vergoldeten Bronzebeschlägen. Und heute noch funktionieren die ausgetüftelten technischen Spring- und Federmechanismen wie geschmiert. So öffnen und schließen sich Schubladen, schieben sich seitlich angebrachte Schubfächer heraus und springt auf Knopfdruck ein Kasten mit Jetons und Karten aus dem Inneren eines Spieltisches hervor. Das war alles so raffiniert, dass den Möbeln sinnvollerweise eine Gebrauchsanleitung mitgeliefert wurde

Der Kunsthandel Röbbig steuert ebenfalls solch ein Wunderwerk bei, das sich mit dem Begriff Mehrzwecktisch kaum beschreiben lässt. Ein eleganter Toilettentisch von 1785 ließ sich im Handumdrehen auch mit den zarten Händen einer Dame zum Zeichentisch mit schräg gestellter Arbeitsplatte aufklappen. Otto von Mitzlaff aus Wächtersbach kann ebenfalls mit einem Tisch mit mehreren Nutzungsmöglichkeiten aufwarten, einem kombinierten Zeichen-, Schreib- und Lesepult im vollendeten Rokokostil mit reichen Blütenintarsien in Mahagoni von 1765/68.

Seit seiner Schulzeit ist der Name Roentgen für den Kunsthändler Thomas Schmitz-Avila aus Bad Breisig ein Begriff. „Das Geburtshaus von Abraham Roentgen in Neuwied war ganz in unserer Nähe und galt immer als Aushängeschild für die Deutsche Möbelkunst“, sagt er. Damals hätte er sich kaum träumen lassen, dass man ihm später dann als Kunsthändler eine Roentgen-Schatulle gleichsam aus der Hand reißen würde, genau so wie ein weiteres rares Schatzkästchen vor zehn Jahren. Auch einen Satz Stühle konnte er an einen Liebhaber vermitteln. Auf der Ars Nobilis zeigt er ein graviertes Salontischchen mit Rocailledekor der streng protestantischen und der Herrnhuter Brüdergemeine zugehörigen Kunsttischler. Die Zugehörigkeit zur Gemeinde sicherte der Firma eine Zeit lang über Kredite die Produktionskosten für den Ankauf edler Hölzer und die Anfertigung kostspieliger Beschläge. So konnten die Roentgens adlige Kunden in Paris und Amsterdam, London oder Russland mit ihren für den Transport zerlegbaren Hochklasse-Möbeln beliefern. Die damalige Popularität in hohen Kreisen kann jedoch nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass manche Teile der Produktion aus heutiger Sicht zu Lasten von Eleganz, Witz und Lebenslust auch vom protestantischen Geist geprägt scheinen.

Etwa 400 bis 600 Roentgen-Möbel, so schätzt Schmitz-Avila, sind weltweit noch erhalten, die meisten davon in Museumsbesitz: Noch bis zum 11. November kann man sich etwa in der Ausstellung „Präzision und Hingabe“ im Berliner Kunstgewerbemuseum von ihrer Qualität überzeugen. Doch auch die Veranstalter der Ars Nobilis schmücken sich mit 13 Möbelkreationen aus der Werkstatt Roentgen – so viele Objekte der genialen Kunstschreiner waren bislang noch auf keiner Messe zu sehen.

Das hat bereits vor Beginn der Veranstaltung Wirkung gezeigt: Über einen Roentgen-Schrank wurden bereits ernsthafte Verkaufsgespräche geführt. „Auch ein Tischchen ist im Visier eines Käufers“, weiß Ars-Nobilis-Mitveranstalter und Aussteller Jürgen Czubaszek.

Claudia Herstatt

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