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Kultur: Ein Traum im Paradies

Die Faszination, die die außereuropäische Welt auf die Künstler des 19. und frühen 20.

Die Faszination, die die außereuropäische Welt auf die Künstler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ausübte, war groß - und durchaus zwiespältig. Die außereuropäische Welt bildete jenes Unbekannte, in der sich alle Enttäuschungen des eigenen Daseins im rasend schnell industrialisierten Abendland in die Erfüllung paradiesischer Träume verwandeln ließen. Andererseits war diese Welt, waren zumal Afrika oder die Südsee Objekt der kolonialen Begierden abendländischer Mächte - und als solche unterlagen sie eben jener als Kulturverlust empfundenen Verwestlichung, der die Künstler doch zu entrinnen hofften. Die tiefe Enttäuschung, die etwa der Franzose Paul Gauguin zur Jahrhundertwende auf Tahiti erlebte, spiegelt diesen unüberbrückbaren Widerspruch.

Auch Emil Nolde ahnte ihn wohl, als er 1913 in die Südsee aufbrach. Dennoch mühte er sich, an seinem Idealbild festzuhalten, das er Jahrzehnte später in seiner Autobiografie formulierte. "Die Urmenschen leben in ihrer Natur, sind eins mit ihr und ein Teil vom ganzen All. Ich habe zuweilen das Gefühl, als ob nur sie noch wirkliche Menschen sind, wir aber etwas wie verbildete Gliederpuppen, künstlich und voll Dünkel", heißt es in dem in den dreißiger Jahren verfassten Rückblick: "Ich male und zeichne und suche einiges vom Urwesen festzuhalten."

Was Nolde in der Südsee malte, ist nur teilweise bekannt. Überwiegend aquarellierte er auf seiner langen, knapp einjährigen Reise, die er in Begleitung seiner Frau Ada sowie des Mediziners Alfred Leber und der jungen Krankenschwester Gertrud Arnthal unternahm. Für diese Aquarelle allerdings, Hunderte an der Zahl, verwendete Nolde empfindliches Japanpapier, das unter der Einwirkung von Tageslicht schnell vergilbt. So befinden sich die erhaltenen Blätter in den Schränken unter anderem des Berliner Kupferstichkabinetts, aus denen das Brücke-Museum jetzt zwei Dutzend entleihen konnte, um sie gemeinsam mit vier der 19, vor, während und nach der Reise entstandenen Ölgemälde in seiner Ausstellung "Emil Nolde in der Südsee" vorzustellen.

Es ist ein Jammer, dass die Gelegenheit vertan wurde, den Gesamtbestand der Ölbilder zu zeigen. Dabei ist parallel zur Berliner Kabinettausstellung eine weitere Ausstellung unter dem Titel "Nolde und die Südsee" unterwegs - nach ihrer ersten Station im Wiener "BankAustria Kunstforum", wo sie bis zum vergangenen Sonntag zu sehen war, wird sie ab 23. März in der Münchner Hypo-Kunsthalle zu sehen sein. Die Überschneidung ist ärgerlich. Der Hauptleihgeber der Wiener Ausstellung, die im nordfriesischen Seebüll beheimatete Nolde-Stiftung, mochte sich an dem Berliner Vorhaben nicht beteiligen und setzte lieber auf die publikumswirksame Verbreitung seiner Schätze, die die beiden privat betriebenen Kunsthallen ohnehin als ihre Leitlinie verfolgen.

Andererseits besteht in den intimen Räumen des Brücke-Museums die seltene Gelegenheit, die empfindlichen Aquarelle eingehend zu betrachten. Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen: in die der Kopfstudien, die Nolde von den Bewohnern des damals "Bismarck-Archipel" genannten Inseln Melanesiens fertigte, die der dörflichen Alltagsszenen und schließlich die der Blumenstudien. Stilistisch weichen die Blätter nicht von Noldes übrigem Werk ab. Der Künstler unternimmt keinen Versuch, sich der Kultur der als primitiv geltenden Südsee-Völker anzunähern. Er bleibt ein wenn auch geneigter Beobachter. Dabei hatte er - wie seine Mitstreiter aus der expressionistischen Künstlergruppe "Die Brücke" auch - bereits seit 1910 die Völkerkundemuseen zunächst in Dresden und dann, dank der Erwerbungen in den Kolonien ungleich reicher bestückt, in Berlin aufgesucht, um Objekte zu malen.

Als der Göttinger Mediziner Leber 1913 eine Expedition in die deutsche Kolonie Neuginea plante, schlug ein mit Nolde befreundeter Kunsthistoriker die Teilnahme des Künstlers vor. Leber erbittet beim Reichskolonialamt, das die Expedition finanzieren sollte, Unterstützung für Nolde. Diese wird abgelehnt, statt dessen gewährt der Bankier und Sammler Eduard Arnhold - einer der herausragenden Mäzene der Berliner Museen - einen "Reisekredit", so dass sich Nolde und seine Frau der "Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition Külz / Leber" anschließen können. Deren Zweck lässt die düstere Realität der Kolonien erkennen: Sie soll die "Gesundheitsverhältnisse", vor allem "die Ursachen des Geburtenrückganges der Eingeborenen feststellen", wie Nolde notiert: "Es war dieses für das Gedeihen der Kolonie eine bedenkliche Erscheinung, denn die Eingeborenen waren die Arbeitskraft der Pflanzer und Kolonisten." Die zur Arbeit auf die Plantagen gelockte Urbevölkerung siechte dahin, die Ausbeutung der Kolonie drohte zu stagnieren.

Nolde blendet diese bedrückende Realität auf seinen Bildern aus. Nach monatelanger, mühsamer Reise endlich angekommen, sucht er abgelegene Inseln und Landstriche auf, die ihm das so sehr ersehnte ursprüngliche Bild zeigen. Den europäischen Einfluss verabscheut er. So schrieb er 1914, bereits auf der Rückreise: "Die Eingeborenen an den Plätzen der Europäer sind unerträglich, verlogen, verseucht und mit Lappen und Flitter elendester Art behangen." Nolde sucht für seine Aquarelle den ursprünglichen Zustand - aber registriert sehr wohl, wenn seine weiblichen Modelle Pfeife rauchen, wie es die Kolonialherren gegen die Mückenplage zu tun pflegten. Nolde geht mit erkennbar gutem Willen ans Werk: Die Gräuelpropaganda über die angeblich kannibalischen, auf jeden Fall aber gewalttätigen Ureinwohner schreckt ihn wenig. Er zeigt seine Modelle, wie finster manche auch dreinblicken, in ihrer natürlichen Schönheit und Würde - und schwärmt später davon, "ein so starkes Urleben in reinster Ursprünglichkeit erlebt" zu haben. Besonders eindrucksvoll sind die Alltagsszenen aus abgelegenen Dörfern, in denen die schnellen, Kontur gebenden Striche und die flächig darübergesetzten Farbfelder stimmungsvolle, für das Auge des Europäers "authentische" Eindrücke in expressiver Unmittelbarkeit schildern.

Als Nolde 1914 nach Europa zurückkehren musste, war er sich bewusst, eine untergehende Welt gesehen zu haben. Er verstand seine Reiseskizzen als Dokumentation. Die Zeitumstände machten seine Beschäftigung mit der Südsee zur Episode: In Europa war der Krieg ausgebrochen, Noldes Arbeiten wurden noch während der Schiffspassage im Suezkanal vom britischen Militär beschlagnahmt. Der Koffer mit den Arbeiten tauchte erst sieben Jahre später bei einem englischen Trödler wieder auf, und Nolde erhielt seine Bilder zurück. Allein schon dieser Unterbrechung wegen blieb seine Südseereise Episode, in der Nolde seine Kunst wie nur selten in den Dienst der Beobachtung gestellt hat.

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