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Kultur: Ein Trost, ein Glück

„Open Hearts“: Was die Dänen der Welt mit ihren Dogma-Filmen geschenkt haben

Nein, man möchte keinen Nachruf drauf schreiben. Oder höchstens einen von jener Art: Dogma ist tot – es lebe Dogma! Schließlich verdanken wir Dogma manche der stärksten Kinoeindrücke der letzten Jahre. Schließlich hat Dogma eine ganze Generation von Filmemachern elektrisiert. Und mit seinem Keuschheitsgelübde und fundamentalistischem Brimborium dem Kino vor fünf Jahren den Sauerstoff zurückgegeben, der ihm fehlte: kargeste Form, köstlichster Inhalt! Aber Vorsicht: Ist nicht auch das alles schon Hinterhergerufe auf eine Kunstform, weg damit auf den – ach, möglichst ergiebigen – Kompost der Filmgeschichte?

Die Fakten: Ja, das Dogma-Sekretariat in Kopenhagen, das über die Vergabe der berühmten Zertifikate wachte, hat sich aufgelöst. Ja, es wird nach „Open Hearts“, diesem noch einmal so atemberaubend kraftvollen Film von Susanne Bier, nur noch drei Dogma-Filme geben (einen aus den USA, zwei aus Spanien), aber dann ist mit Nr. 31 endgültig Schluss. Andererseits wird in Dänemark – siehe nebenstehendes Interview – derzeit über Dogma gestritten, als ginge es damit noch ewig so weiter. Und, wenn es nach uns ginge: Zumindest halbwegs ewig dürfte es damit schon weitergehen.

Doch mit kühlerem Blick betrachtet: Sie haben schon Recht, die Dänen. Die Dogma-Bewegung, mit einem Manifest zur 100-Jahr-Feier des Kinos 1995 gegründet und drei Jahre später mit zwei sensationellen Filmen in Cannes (Thomas Vinterbergs „Fest“und Lars von Triers „Idioten“) ins vitale Leinwand-Leben gerufen, ist vielleicht nicht tot, aber sie hat sich überlebt. Dogma, das in seinem Zehn-Gebote-Katalog die Produktion von Genrefilmen untersagte, ist „ganz gegen unsere eigene Absicht“ selbst zum Genre geworden – auch da haben sie Recht, die Dogma-Gründer. Sie hätten sich zudem selbst als Regisseure heftig weiterentwickelt, schreiben sie auf ihrer Website – und wie sehr das stimmt, zeigen etwa Lars von Triers „Dancer in the Dark“ und demnächst „Dogville“ (Premiere in Cannes); auch Thomas Vinterberg hat mit „It’s all about love“ (Kinostart: 27. Februar) zuletzt etwas gedreht, das alles Mögliche sein mag, aber ganz bestimmt kein Dogma-Film.

Also: Streuung, Freigabe, Chaos. Auch gut. „Jeder kann einen Dogma-Film drehen“, sagen die Gründungsbrüder – und tatsächlich haben 31 vor allem junge Filmemacher aus neun Ländern gezeigt, dass sie auf ausschließlich natürlichem Set (Regel 1), mit Ton und Bild synchron (2), mit Handkamera (3), in Farbe und mit natürlichem Licht (4), ohne Filter und sonstige optische Tricks (5), ohne Morde und Waffen im Plot (6), thematisch im Hier und Heute (7), auf 35 Millimeter (8), ohne Genre-Schubfach (9) und unter Verzicht auf den Regisseursnamen im Abspann (10) vorzeigbare Filme drehen können – und das immer mit dem hohen Ziel, die „Wahrheit aus den Figuren und Situationen herauszupressen“, statt eitel am eigenen Gesamtwerk zu feilen. Nur: Die besten Dogma-Filme sind dennoch immer die dänischen Filme gewesen.

Am Ende regierte dort eher die Schwesternschaft als die Ursprungsbrüderschaft, der intimere Zwei- bis Vierpersonen- als der Ensemblefilm, die kluge Herzenswärme eher als die Gedankenkälte, und statt der Wucht der These mitunter sogar Humor – und, vor allem, die lustvolle formale Grenzüberschreitung. So haben uns Lone Scherfig mit „Italienisch für Anfänger“ und Susanne Bier mit „Open Hearts“ebenso feine wie große Publikumsfilme geschenkt, die die Untiefen-Analyse menschlicher Fremde und Nähe glücklich mit der Herausforderung zur formalen Askese zu verbinden wussten. Ach, schon wieder so ein Nachrufesatz!

Doch, wie schön, „Open Hearts“ kommt erst noch. „Open Hearts“, der Abschiedsfilm. Cecilie (Sonja Richter in ihrer ersten, sehr schönen Kinorolle) verliert Joachim (Nikolaj Lie Kaas), den sie eigentlich gerade noch heiraten wollte: Aber er ist nach einem Unfall querschnittsgelähmt und vertreibt Cecilie eisern aus seiner Nähe, bevor er sie wirklich freigeben kann. Und Abschied nehmen müssen auch Marie (die in mehreren Dogma-Filmen formidable Paprika Steen) und ihr Mann Niels (Mads Mikkelsen): Denn Niels – Arzt in jenem Krankenhaus, in dem der gelähmte Joachim seinen Welt- und Selbsthass herausschreit – verliebt sich in Cecilie. Das Krankenhaus: ein Niemandsraum, in dem zwei Leute ineinanderfallen in einen ersten Blick und einen Trost und ein Begehren, woran selbst die glücklichste Ehe der Welt scheitern kann. Zumindest einstweilen.

Denn auch das ist ja Dogma immer – und am überzeugendsten zuletzt in seinen Frauenfilmen – gewesen: Trost. Und ein Alltagsglück für seine erfundenen Figuren und Alltagsmenschen, das von uns Alltagsmenschen vor der Leinwand – Dogma sei Dank – auf fesselnde Weise 1:1 gelesen werden konnte. Keine Happyends mit Trara und Geigengeschwelge: nein, nur Leute, die sich vorsichtig näher kommen, um es, warum zum Teufel eigentlich nicht, miteinander zu versuchen. „Open Hearts“ ist da melancholischer, abschiedsnäher, herzzerreißend offen, eigentlich ein Film ohne Ende. Als wollte er sagen: Alles geht ja weiter hier mit meinen Leuten, so wie mit euch da im Publikum. Und mit Dogma sowieso.

Ab morgen in Berlin in den Kinos Delphi, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei und Yorck

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