zum Hauptinhalt

Kultur: Ein Würfel tanzt aus der Reihe

Späte Erinnerung: Berlin bekommt ein Denkmal für die im Dritten Reich verfolgten Homosexuellen

Als Michael Elmgreen und Ingar Dragset vor drei Jahren den Preis der Neuen Nationalgalerie verliehen bekamen, waren die beiden so perplex, dass sie nur eines wussten: „Jetzt werden wir für unsere Lieblingskneipe endlich einen neuen Kühlschrank kaufen können.“ Nicht im Traum hatten sich die beiden Künstler Hoffnung auf die 50 000 Euro Preisgeld gemacht. Sie hatten eine Wachsfigur in ein Krankenbett gelegt, eine Allegorie auf den Patienten Kunst. Die Jury war hingerissen.

Seitdem sind Elmgreen und Dragset in der internationalen Kunstwelt noch gefragter als zuvor. Das Duo, das inzwischen als Nachfolger des legendären britischen Künstlerpaars Gilbert & George gehandelt wird, stammt aus Skandinavien, lebt aber in Berlin. Gerade kommen die beiden aus Tokio zurück, wo sie in einer Galerie hunderte Fotos von einstigen Homosexuellen-Treffs in kleinen Bilderrahmen auf einer Konsole als Installation aufreihten. In ihrem Atelier am unteren Ende der Schönhauser Allee steht noch das Modell einer kurios verformten Postkartenbude, ihr Beitrag zu einer Mitte Mai beginnenden Mozart-Ausstellung in Salzburg. Der Kiosk ist aus poliertem Edelstahl geformt, auf das sich Einheimische und Touristen darin spiegeln können.

Elmgreen und Dragset sind mittlerweile eine eingeführte Marke, spezialisiert auf Kunst im öffentlichen Raum. Das Pathos ihrer Denkmäler brechen sie mit Humor und Hintersinn. Anfang des Jahres bekamen sie den Zuschlag für ein Mahnmal, das an die von den Nationalsozialisten ermordeten Homosexuellen erinnern wird. Ihr Schwulen-Memorial soll gegenüber von Peter Eisenmans Holocaust-Mahnmal auf einer Lichtung des Tiergartens errichtet werden. „Hier wäre Ironie fehl am Platz“, erklären beide. Stattdessen haben sie einen schlichten Pavillon aus Beton geplant, der sich in Proportion und Material an den Stelen Eisenmans orientiert. Allerdings ist ihr 3,60 Meter hoher und 50 Meter langer Kubus leicht aus der Achse gekippt. In seinem Inneren befindet sich ein wieder in die Lotrechte gebrachter Raum, in den man durch ein kleines Fenster blicken kann. Darin ist die Schwarzweißprojektion zweier sich küssender Männer im Dauerloop zu sehen.

Der Jury-Vorsitzende Norbert Radermacher, selbst Bildhauer und Experte für Kunst im öffentlichen Raum, war voll des Lobes: „Ohne verbale Hilfestellungen oder schriftliche Erklärungen wird das Thema Homosexualität direkt und doch subtil vorgestellt.“ Auch Peter Eisenman, den das Künstlerpaar vor der Abgabe seines Entwurfs noch konsultierte, war beeindruckt. Was nicht verwundert, schließlich ist der Betonwürfel doch auch so etwas wie eine Verbeugung vor seinem gigantischen Stelenfeld.

Mit ihrem minimalistischen Pavillon, der nicht gerade stehen will und gewissermaßen spielerisch aus der Reihe tanzt, veranschaulichen Elmgreen und Dragset eine schwule Alltagsstrategie: „Homosexuelle Kultur hat immer schon auf Aneignung basiert,“ erklären die beiden Männer, die bis vor zwei Jahren selbst noch ein Paar waren. „Schwule mussten sich seit jeher mit den bestehenden heterosexuellen Strukturen arrangieren, sie anverwandeln und mit neuem Inhalt füllen.“ Das Holocaust-Mahnmal also „queered up“, wie es im Englischen heißt. „Es ist, als wenn einer der Blöcke vom Holocaust-Denkmal nachts über die Straße gelaufen wäre, sich in den Wald gestellt hätte und sagt: Seht her, ich bin Teil der ganzen Geschichte, ich bin aber auch etwas Eigenes. Ich bin schwul“, so formuliert es Elmgreen.

Im Jahr 2007 soll das Memorial dann endlich realisiert werden, vier Jahre nachdem der Bundestag die Errichtung beschlossen und 450 000 Euro dafür bereitgestellt hatte. Zu spät, wie viele meinen. Zu Tausenden wurden im Dritten Reich Homosexuelle in Konzentrationslager deportiert, Überlebende, denen das Denkmal ein Trost sein könnte, gibt es heute, sechzig Jahre später so gut wie keine mehr. Elmgreen und Dragset ist deshalb auch daran gelegen, nicht die erlittene Qual, sondern die abstrakte Erinnerung zu thematisieren. Sollte es zu Graffitis und Schmierereien an den Außenwänden kommen, würden sie das akzeptieren: als Ausweis dafür, dass die Zeit der Diffamierungen noch immer nicht vorüber ist. Eine erstaunliche Haltung gegenüber dem eigenen Werk, doch die beiden Künstler betrachten das Denkmal längst nicht mehr als ihre persönliche Skulptur, sondern als ein allgemeines Objekt der Repräsentation.

Gerade dafür aber hat das norwegisch-dänische Duo immer schon ein feines Gespür besessen. Ihre nunmehr zwölfjährige Kollaboration könnte man unter dem Begriff „institutional critique“ zusammenfassen, allerdings ohne jene didaktische Verbissenheit, die für viele andere Künstler in den neunziger Jahren galt. Das mag daran liegen, dass beide nie eine Akademie besucht haben. Elmgreen, 1961 geboren, schrieb am Anfang noch Gedichte, die er in Galerieräumen via Bildschirm präsentierte. Dragset, Jahrgang 1969, begann seine Karriere als Tänzer. Der White Cube des Galerien-Kunstbetriebs wurde für sie zur gemeinsamen Bühne, die sie immer wieder ironisch auseinander nahmen. Mal ließen sie arbeitslose Maler während einer Ausstellung die Museumswände immer wieder streichen, mal bauten sie eine Galerie in der Galerie nach.

Auf der jüngsten Frieze-Kunstmesse in London duplizierten sie samt Koje ihren Berliner Galeristen Martin Klosterfelde durch einen Doppelgänger mit entsprechender Perücke. Ihre Projekte zielen auf Schmunzeln, Staunen, Stirnrunzeln. Denn darin ist das Duo sich einig: „Kunst kann zwar keine Konflikte lösen, aber zur Vielgestaltigkeit unseres Lebens beitragen. Denn Langeweile ist heute die größte Bedrohung unserer Kultur.“

Die Akademie der Künste am Pariser Platz eröffnet am 2. Mai um 19 Uhr eine Ausstellung der Entwürfe für den Kunstwettbewerb „Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“, die bis zum 13. Mai zu sehen ist, Di–So 11–20 Uhr.

Zur Startseite