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Andreas Richter

© Mike Wolff

Ein Zwischenruf von Andreas Richter: Orchester reformieren - nicht fusionieren

Im Südwesten Deutschlands kämpfen die beiden Orchester des SWR ums Überleben. Szenekenner Andreas Richter plädiert für eine Grundsatzdiskussion über den Zuschnitt der deutschen Orchesterlandschaft.

Eindrucksvoll, aber zu spät? 160 Dirigenten und  148 Komponisten warnen eindringlich vor der Fusion der beiden Klangkörper des SWR, und sicher fände man schnell ähnlich viele Solisten und ein Vielfaches an Orchesterkollegen mit gleicher Intention. Der Intendant hält etwas beleidigt dagegen, verbietet sich Einmischung in die inneren Angelegenheiten des SWR, als wenn die vom Sender veranstalteten Programme und Konzerte niemand anderes etwas angingen. Schwer abzusehen, ob der Beschluss des Rundfunkrates noch veränderbar ist. Und schwer abzusehen, wie der Protest weiter geht, ob er im Sande verläuft oder weiter an Kraft gewinnt.

Die Diskussion ist verfahren und ideologisch geprägt, die Probleme komplex und das, was jetzt geplant ist, keine Lösung. Aber es würde sich lohnen, an einer zu arbeiten, denn was heute im Südwesten Deutschlands diskutiert wird, kann morgen schon woanders akut werden. 36 Orchester sind in den letzten 20 Jahren in Deutschland aufgelöst worden, verschwunden, fusioniert oder abgewickelt, wie man in den Nachwendezeiten sagte. Soll das so weitergehen? Was sind die Alternativen?

Wie nicht erst seit dem umstrittenen Buch über den sogenannten Kulturinfarkt klar ist, ist die Problematik Ausdruck einer mehrfachen und durchaus tiefen Krise:

Zum ersten gehört dazu in diesem Fall die Krise des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, der in Unklarheit seines Auftrags weit überfordert scheint, allein die Probleme der Ortsbestimmung und Finanzierung seiner Orchester zu klären. In der Geschichte der Rundfunkorchester gab es immer wieder notwendige Anpassungen an die Entwicklung der  Medienlandschaft. In der Tat muss man die Frage stellen dürfen, ob der Unterhalt der Orchester heute allein Aufgabe der gebührenfinanzierten Sender ist angesichts der Entwicklung, dass die großen Rundfunksender an den meisten Standorten gleichzeitig für die musikalische Grundversorgung sorgen müssen und auch wollen.  Daraus ergibt sich die Frage, welche Instanz, welches Gremium, welche Öffentlichkeit diese Diskussion führen kann und zu Entscheidungen berechtigt sein könnte. Rundfunkräte allein sind anscheinend mit dieser Aufgabe überfordert.

Zum zweiten haben wir eine Krise des Musiklebens und der Orchester. Nicht nur, dass es immer weniger werden. Nicht nur, dass ihre inneren Strukturen und Arbeitsweise bisweilen festgefahren wirken und der Realität hinterherhinken. Eine starke Gewerkschaft hat den Veränderungen des Musiklebens, der Medien und der Kultur überhaupt nur wenig Rechnung tragen wollen mit der Folge, dass immer weniger Orchestermusiker im Boot der lebenslangen Festanstellung sitzen und immer mehr  sich in den stürmischen und kargen Gewässern der prekären Freiberuflichkeit über Wasser halten müssen. 

Was bedeutet diese Diagnose für die Rundfunkorchester Südwestdeutschlands?

Was kann diese Diagnose nun für die Rundfunkorchester Südwestdeutschlands bedeuten? Ich meine, es ist immer noch möglich, mit vergleichsweise simplen Änderungen zu einer sehr viel besseren Struktur zu kommen. Es gibt Beispiele und Vorbilder: freie Orchester wie die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen oder das Ensemble Modern habe gezeigt, dass man mindestens auf gleichem Niveau und mit internationaler Anerkennung in einer freien Orchesterstruktur um vieles effizienter arbeiten kann und zwar so, dass die Musiker sich gleichzeitig freier und mehr in die Verantwortung genommen fühlen. Und das Modell der ROC GmbH, der Rundfunkorchester und –chöre GmbH, die ja zwei ehemalige Rundfunkorchester und zwei Chöre aus dem Osten und Westen Berlins trägt, zeigt eine nach einigen durchaus schmerzhaften Kinderkrankheiten gut funktionierende Zusammenarbeit von zwei Rundfunkanstalten sowie Land und Bund. Zumindest hat die Herauslösung der Klangkörper aus den Rundfunkstrukturen und die Verteilung der Verantwortung auf vier verschiedene Träger bisher immer wieder diskutierte Fusionen abgewendet. Und nachdem die Devise lautet, den Ensembles weitgehende Eigenständigkeit zuzubilligen, funktioniert das Gebilde effektiv und geräuschlos.

Einige Punkte sollte man beherzigen, bevor eine der ROC vergleichbare Struktur die Rettung sein könnte:

Orchester haben eine Identität, eine Geschichte, einen Namen. Das alles anzutasten ist auch in im Fall des SWR unnötig und würde zu großem Schwierigkeiten auf allen Ebenen führen: Musiker, künstlerische Partner wie Dirigenten und Komponisten und auch das örtliche Publikum brauchen eine klare Identität „ihres“ Orchesters. Und auch die Reputation auf Tournee wäre für lange Zeit  empfindlich gestört. Obwohl beim heutigen Deutschen Symphonie-Orchester (DSO) ein guter Name gefunden wurde, hat es Jahre gedauert, bis er eingeführt war -  im Ausland haben Jahre nach der Namensänderung immer noch auch Insider gefragt, welches Orchester das nun eigentlich sei.

Ein Orchester braucht einen stabilen Kern, um einen spezifischen Klang zu haben und schnell und effektiv zu proben, aber es verträgt auch eine geordnete Fluktuation. Das heißt, es ist nicht notwendig, überall den immensen Stellenplan eines A-Orchesters im festen Engagement vorzuhalten. Das zeigen die freien Orchester wie Chamber Orchestra of Europe oder Mahler Chamber Orchestra, erst recht die Festivalorchester in Luzern oder Bayreuth eindrücklich.

Neue Modelle sollten der Entwicklung des Selbstverständnisses von Orchestermusikern Rechnung tragen. Es gibt mehr und mehr Musiker, die ihre künstlerische Selbstverwirklichung in freieren Strukturen besser aufgehoben sehen, mehr Mitsprache und Verantwortung wünschen und dafür auch bereit sind, eine behutsame Flexibilisierung von Dienstplanung und Vergütung mitzutragen. Die gewonnene Freiheit wird oft als Zuwachs an künstlerischer Freiheit und an Motivation empfunden und diese Impulse wären sicher fruchtbar zu nutzen, wenn man die Musiker in eine Neustrukturierung ihrer Klangkörper einbezieht.

Die öffentliche Hand muss mit ins Boot.

In vielen Orchestern könnte es zu einer gerechteren und effektiveren Zählung der Orchesterdienste kommen mit einem nennenswerten Zuwachs an Produktivität. Wenn man sieht, was freie Orchester leisten, wie viel mehr die großen und  hervorragenden Londoner Orchester arbeiten oder auch, in welchem Umfang Orchestermusiker als bezahlten Aushilfe in anderen öffentlichen Orchester spielen, muss es möglich sein, hier ohne Verlust an Kapazität oder Qualität nennenswert einzusparen.

Die öffentliche Hand muss hier mit ins Boot, die allgemeinen und nicht ausschließlich rundfunkspezifischen Aufgaben der Orchester gebieten das. Das kann schrittweise geschehen, aber es würde auch die Finanzierung und Existenz auf mehrere Schultern verteilen, was zu einer höheren Sicherheit führen sollte.

So wäre eine Conclusio, die Orchester in ihrer Identität zu erhalten und nicht zu fusionieren. Man kann dann den Stellenplan moderat herunterfahren, die Dienstbelastung etwas erhöhen und eine GmbH  gründen aus der Rundfunkanstalt  SWR (vielleicht in Verbund mit  Deutschlandradio, das sich in der ROC als verantwortungsvoller Träger von Orchester erwiesen hat) sowie den Städten, dem Land und warum nicht auch dem Bund (soweit mit dem besonderen Profil z.B. im Bereich der Neuen Musik auch gesamtstaatliche Aufgaben wahrgenommen werden) . Vor allem aber sollten die Musiker selbst an Umstrukturierungen beteiligt werden und damit in die Verantwortung genommen werden. Geordnete Partizipation ist einer Demokratie angemessener als Ordre de Mufti.

So könnten die oben beschriebenen Mechanismen greifen: mehr Stabilität durch Unabhängigkeit und Verteilung der Verantwortung, Modernisierung der Arbeitsstrukturen gemeinsam mit den Musikern und für den Sender ein nach wie vor hochwertiges Kulturangebot und eine Vermeidung des Reputationsverlustes.

Wer wagt gewinnt, könnte man hoffen, ein wenig Bewegung braucht es auf allen Seiten. Aber nun geht es darum, die Zukunft der Kultur zu gestalten und nicht diese weiter abzubauen.

Andreas Richter war u.a. Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin und Intendant des Mahler Chamber Orchestra.

Andreas Richter

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