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Kultur: Eine andere Objektivität

Zuerst blickt man auf die abgetretene Schuhsohlen.Es folgen die angewinkelten Beine.

Zuerst blickt man auf die abgetretene Schuhsohlen.Es folgen die angewinkelten Beine.Sie erscheinen riesig, dabei sind sie kaum lebensgroß.Bereits bei den Knien ist Schluß.Den Rest des Liegenden muß man sich hinzudenken.Auf den Bildern des französischen Fotokünstlers Patrick Tosani wird der Mensch zur monumentalen, lebenden Skulptur, einer Ovalform, die frei im neutralen Bildraum schwebt.Tosani zählt zum Dutzend Künstler der Ausstellung "Zeitgenössische Fotokunst aus Frankreich" des Neuen Berliner Kunstvereins.

An der Auswahl war Régis Durand beteiligt, Direktor des Centre national de la photographie in Paris.Für ihn ist "die Schaffung fotografischer Objekte" das Charakteristische im französischen Beitrag.Dabei geht es weniger um die flächige Abbildung eines realen Gegenstandes, als um die "Schaffung eines neuen (Bild-)Gegenstandes", wie er erklärt.Durand konstatiert drei Tendenzen: zunächst ein besonderes Interesse am städtischen und am gesellschaftlichen Raum.

Beispielhaft dafür sind Stéphane Couturiers Aufnahmen konstruktiver Trägergerüsten im Innern des Grand Palais Paris.Seine Farbkompositionen aus abstrakt anmutenden Linien und Farbflächen zählen zugleich zur Kategorie "Sehraum".Der "Sehraum" bezieht sich auf Grundfragen der Malerei: Licht und Schatten, Volumen und Fläche, Farbe und Komposition.Einer der international bekanntesten Teilnehmer, George Rousse, behandelt gleichermaßen den architektonischen wie den Sehraum.Überdies steht Fotografie bei ihm auch für die "Schaffung fotografischer Objekte".Seine vielfach in glühendes Rot getauchten Farbaufnahmen leerstehender Räume wurden wiederholt mit Malerei verglichen.Inzwischen baut er eigens für seine Fotografien begehbare Architekturenkulissen.Mit den flächigen Abbildungen skulpturaler, begehbare Kreisformen, die mit strukturierter Oberfläche versehen sind, durchkreuzt er gewohnte Wahrnehmungsmuster des Raums.Ihm gelingen auf diese Weise verwirrende Perspektiven: Vexierspiele, bei denen die Grenzen zwischen malerisch bis graphisch wirkendem Bildraum und dem Abbild einer plastischen Raumsituationen bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen.

Die Einbindung in den gesellschaftliche Raum findet sich bei Arbeiten von Florance Paradeis, Valérie Jouve, Isabelle Arthuis und auf besondere Weise bei Jean-Luc Moulène.Zur documenta X präsentierte er seine Aufnahmen - ob Akt, Blume oder ein Tortellini auf Efeublättern - in Zeitungen, Zeitschriften und plakatierte sie auf Werbeflächen.Dabei machten sie für kein erkennbares Produkt Reklame, sondern okkupierten einen der Fotokunst nahen, ihr aber meist unzugänglichen Gesellschaftsbereich.Was ein nur im Medium Fotografie erlebbarer "Sehraum" ist, veranschaulichen Valérie Belins Schwarzweiß-Aufnahmen aus einem Ausstellungsraum für Muranoglas.Fotografie ist bei ihr "Lichtmalerei": ein Spiel mit Reflexen, Spiegelungen und Transparenz.Zwischen Bild und Rahmen, vervielfacht wie bei einem Echo, entstehen Kompositionen, die filigranen Spitzenmustern ähneln.Auch wenn die jährlich vom NBK für ein anderes Land geschnürten Ausstellungspakete nicht repräsentativ sein können, publikumsfreundlich sind sie dennoch - ermöglichen sie doch immerhin eine konzentrierte, streiflichtartige Übersicht.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr.128/129, bis 11.Oktober.Katalog 35 DM.

ELFI KREIS

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