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Kultur: Eine Anzeigenkampagne schiebt die Schuld am Umsatzrückgang der Musikindustrie auf schwarzgebrannte Tonträger

Weiße Seiten, fast nichts darauf. In die Leere des Raumes geworfen ein kurzer Satz: "Das Ende vom Lied".

Weiße Seiten, fast nichts darauf. In die Leere des Raumes geworfen ein kurzer Satz: "Das Ende vom Lied". Die deutsche Musikindustrie prangert an, mit einer bundesweiten Anzeigenkampagne. "Hier sollte eine Bericht über die Hit-CD eines Shooting-Stars stehen", heißt es im Kleingedruckten. "Aber die CD ist nie erschienen. Das Problem: Jedes Jahr werden Millionen CDs schwarzgebrannt und illegal verkauft. 10 000 kopierte CDs vernichten eine Nachwuchsband."

Die Urheber der weißen Seiten würden gern wieder schwarze Zahlen schreiben. Um 9,8 Prozent ist der Umsatz mit Tonträgern in der ersten Jahreshälfte zurück gegangen. Verantwortlich dafür machen Hersteller die Verbreitung von CD-Recordern und -Brennern, besonders bei Jugendlichen. Das Gespenst der "Schulhof-Kriminalität" ging um.

Die Anzeige unterscheidet nicht zwischen legalem Kopieren für den privaten Gebrauch und dem in der Tat verwerflichen Handel mit Raubkopien, der den Künstler seines geistigen Eigentums beraubt. CD-Brenner sollen generell als Sündenböcke herhalten für ein hausgemachtes Problem: dass weniger Musik verkauft wird, weil die Konzerne überwiegend Einheitsbrei auf den Markt bringen. Die ach so hoch gehaltene Sorge um den Nachwuchs - besonders die Majors zeigen mit musikalischem Biedersinn und Hire-&-Fire-Politik, wie ernst es ihnen ist. Was erwarten Sie vom Nachwuchs? "Hit-CDs von Shootingstars", wie der Text schon sagt. Mit anderen Worten: die schnelle Mark. Statt Künstler langfristig aufzubauen, statt Neues zu wagen und individuelle musikalische Entwicklungen zu fördern, gilt der erste Blick dem Umsatz. Was die Kapelle da klimpert - das ist doch dem Vorstand egal.

Der Vorstand, er lebt in anderen Sphären. Zum Beispiel auf dem Golfplatz. Darauf weist dankenswerterweise eine Persiflage im Stadtmagazin "tip" hin. "Jedes Jahr treffen sich Bosse der Musikbranche mehrmals zu Golf-Turnieren und Luxus-Gelagen", heißt es dort. "Das Problem: 10 Golf-Turniere vernichten eine Nachwuchsband. Golf kills Musik." Gut gegeben.

Die "Mediengolfer" arbeiten sicher hart an ihrem Handicap. Schließlich will man in der Branche nur eins: Erfolg. Und wenn das Training nicht reicht, hilft man eben ein bißchen nach. Erst Ende September hat der Bundesverband Phono die Kriterien für die Verleihung von Gold- und Platin-Platten geändert. Statt 250 000 verkaufter Alben reichen nun 150 000. Und bei Platin tun es 300 000 statt 500 000 Stück. Es kann also munter weiter eingeputtet werden. Vielleicht stiftet mal jemand ein Preisgeld. Davon könnte die nächste bigotte Anzeigenkampagne bezahlt werden.

Raph Geisenhanslüke

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