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Hohle Gasse: Werkstück oder Skulptur, die beiden Betonteile rahmen den Eingang zum Haus am Waldsee.

© Bernhard Schulz

Eine Ausstellung im Haus am Waldsee: Die Liebe des Architekturduos Barkow Leibinger zum Material

Ungewöhnliche Bauten: Das Haus am Waldsee zeigt Arbeiten der Berliner Architekten Barkow Leibinger .

Vielleicht sollte man im Garten beginnen, bevor man ins Haus geht. Dort, im Haus am Waldsee, ist eine Ausstellung der Architekten Barkow Leibinger zu sehen. Im Garten aber steht ein ausgeführtes Bauwerk: die Zweitversion des „Sommerhauses“, das die beiden Architekten 2016 in die Londoner Kensington Gardens gestellt hatten.

Das hölzerne Sommerhaus aus London ist hier in Berlin mit glänzendem Metall verkleidet, aber der Grundgedanke ist derselbe. Es ist eine Raumfigur aus in- und aneinander gelegten Schleifen, die eine unregelmäßige Form ergeben, in die man teils auch hineingehen kann, um über sich dann allerdings kein Dach, sondern den offenen Himmel zu sehen. Eine architektonische „folly“, wie sie einst englische Landschaftsgestalter liebten.

Diese Skulptur enttäuscht die Erwartungen an Architektur, ebenso wie die Ausstellung im Inneren diejenige an eine Architekturausstellung. Denn was der Besucher zu sehen bekommt, sind nicht Bauwerke in Fotos und Modellen, sondern gewaltige Lagerregale, die in die ehemaligen Wohnräume dieser Zehlendorfer Villa gestellt sind, ordentlich, wenn auch für den Laien auf den ersten Blick nicht einsichtig mit Objekten gefüllt, die man als Materialproben verstehen darf.

Die Ausstellung – so der Begleittext – „wendet sich an ein Publikum, das nicht nur an gebauten Ergebnissen, sondern auch an Entwicklungsprozessen in der zeitgenössischen Architekturpraxis interessiert ist“. (Bis 4. Oktober, Argentinische Allee 30).

Frank Barkow, 1957 geboren, und die sechs Jahre jüngere Regine Leibinger, die sich beim Studium im amerikanischen Harvard kennengelernt haben und 1993 ein Büro in Berlin eröffneten, teilen die Leidenschaft für Material, mit dem gebaut wird oder gebaut werden könnte. Und dieses Material, vorzugsweise Metall, wird gebogen und gespannt, gezogen und gepresst, um herauszufinden, was damit zu verwirklichen wäre.

Sie bauten ein Wohnhaus, das sich an eine Brandmauer anschmiegt

Dem Laien erschließt sich nicht unmittelbar, ob jedes einzelne dieser Formteile Verwendung findet in einem Gebäude, und er fühlt sich eher an den legendären Vorkurs des Bauhauses erinnert, wo die Studenten gleichfalls durch den Umgang mit Material dessen Eigenschaften haptisch erfahren, gewissermaßen mit den Fingern erlernen sollten.

Mittlerweile sind Barkow Leibinger ihrerseits Hochschullehrer geworden, derzeit in Princeton, einer weiteren amerikanischen Eliteuniversität.

Doch bauen tun sie durchaus. Einem breiteren Publikum hierzulande wurden sie bekannt mit der Potsdamer „Biosphärenhalle“, die sie in das vormalige Militärgelände auf dem Bornstedter Feld setzten. Da vertrauten sie allerdings vorwiegend dem Beton, aus dem die massiven Querträger geformt sind, die die gewaltige Dachplatte tragen.

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Zum Beton haben sie auch jetzt vor dem Haus am Waldsee ein Werkstück geliefert, eine Gussform teils aus „Infraleichtbeton“, einer Weiterentwicklung, auf die derzeit viele Architekten zur Realisierung gewagter Entwürfe setzen. Ein 17-geschossiger Wohnturm aus diesem Material, vorgeschlagen zur Nachverdichtung der Wohnbauten am zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, blieb leider auf dem Papier.

Einen Schwerpunkt haben Barkow Leibinger bei Entwürfen für die Arbeitswelt, von Fabrikationshallen bis Betriebskantinen. Das ist denn auch der Bereich, bei dem die Verbindung zu Materialerprobung und maschineller, heute vor allem digital gesteuerter Bearbeitung am engsten ist. Und wo wäre sie enger als bei „Trumpf“, der schwäbischen Werkzeugmaschinenfabrik der Familie Leibinger!

Im Baualltag muss es mehr Experimentierfreude geben!

Dort konnten Experimentalbauten entstehen wie das zwanzig Meter freischwebend auskragende Pförtnerhaus des Firmengeländes oder das Kantinengebäude mit seiner auf schräg stehenden Stützen aufliegenden, wabenförmigen Holzdeck und darin eingelassene Tageslichtöffnungen. Dreiecke, Vierecke, Fünfecke – dreidimensionale Körper aus solchen Flächen liegen in den Regalen im Haus am Waldsee aus, alles, was man basteln kann.

Vor einiger Zeit machten Barkow Leibinger im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg mit einem Hinterhofgebäude Furore, einem Wohnhaus, das sich an eine Brandmauer anschmiegt. Das Gebäude geht ab dem dritten Geschoss in eine Schräge über, nicht eigentlich ein Dach, sondern ein Rücksprung der oberen Etagen, „mehr Pyramide als Kubus“, wie die Architekten sagen.

Das Haus birgt zwei großzügige Maisonettewohnungen und ist, im Kern aus Beton, mit handgefertigten Ziegeln verkleidet, die Fensterlaibungen aus Eichenholz geschreinert. Ein Experimental- oder Sonderbau.

Das ist vielleicht das Problem bei Barkow Leibinger: Sie experimentieren so wagemutig, dass vieles nicht zu „gewöhnlichen“ Bauten führt. Oder umgekehrt: Wo sie „gewöhnlich“ bauen, wie beim zweiten Abschnitt des „Aufbau“-Komplexes am Kreuzberger Moritzplatz, vermisst man das Experimentelle. Aber dass unserem alltäglichen Baugeschehen etwas mehr Experimentierfreude guttäte, steht außer Frage.

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