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Kultur: Eine Ausstellung in der Galerie Poll zu ihrem 60. Geburtstag - Ein Blick zurück nach vorn

Der 60. Geburtstag ist ideal für einen Rückblick und einen Ausblick - und genau das bietet in der Geburtstagsausstellung von Christa Dichgans das 1993 entstandene Gemälde "Im Atelier", auch wenn es bereits vor sieben Jahren entstanden ist.

Der 60. Geburtstag ist ideal für einen Rückblick und einen Ausblick - und genau das bietet in der Geburtstagsausstellung von Christa Dichgans das 1993 entstandene Gemälde "Im Atelier", auch wenn es bereits vor sieben Jahren entstanden ist. In der Mitte des dreiteiligen 2,5 Meter hohen und vier Meter breiten Bildes spiegelt ein Patchwork aus Bildzitaten die eigene Entwicklung wider: links, in der Gegenwart, lässt die Malerin, die sich lange geradezu besessen der Dingmagie der Alltagswelt verschrieben hat, unzählige Gegenstände vom Himmel herabregnen, und rechts ist ein Feld, in dem ein Fenster - oder ist es eine leere Leinwand? - den Blick in eine Zukunft freigibt, die noch darauf wartet, mit Formen und Farben gefüllt zu werden. Dass Dichgans hierfür die Form des Triptychons wählte, hat - abgesehen von der schieren Unmöglichkeit, eine so große Leinwand auf einen einzigen Keilrahmen zu spannen - mit Ironie zu tun, und mit einer unbändigen Lust am Zitat, die sich wie ein roter Faden durch ihr Schaffen zieht.

Die Freiheit der Ironie liegt darin, Dinge, die eine bestimmte Bedeutung haben, nach Belieben zu verfremden, ihnen neue Konnotationen zu verleihen und sie als Spielmaterial für Entwürfe zu verwenden, die sich einer eindeutigen Bestimmung entziehen. Dafür müssen sie zunächst vom Pathos ihrer Bedeutung befreit werden. Für die junge Christa Dichgans, die Anfang der sechziger Jahre in Berlin bei Fred Thieler studierte, kam die Begegnung mit der Pop Art gerade recht, denn die Trivialisierung der Kunst- und Lebenswelt eröffnete ihr Möglichkeiten, die nur darauf warteten, erobert zu werden. "Plastikherz", 1970 geschaffen, ist ein Schlüsselbild (10 000 Mark). Üppig, prall und rot wie die Liebe schwebt das Herz auf der Bildfläche - doch das Gefäß des schönen Gefühls erweist sich als schnöder Massenartikel aus Kunststoff, aufblasbar wie das Gummi-Entchen fürs Nichtschwimmerbecken. Das damalige Publikum sah in einem solchen Bild Gesellschaftskritik, doch viel wichtiger war für die Künstlerin die Befreiung vom inhaltlichen Ballast, mit dem die Dinge gewöhnlich befrachtet erscheinen.

Einmal entfesselt, begannen die Gegenstände ein Eigenleben. Die banalsten, erschreckendsten Dinge des Alltags drängten sich nun auf ihren Bildern zusammen, vermehrten sich in Windeseile, füllten die Flächen mit einem horror vacui, das der Künstlerin die Luft zum Atmen nahm. Es gab Zeiten, da saß Christa Dichgans vor der Leinwand wie das Kaninchen vor der Schlange, malte mit obsessiver, geradezu pedantischer Akribie das Strandgut unseres Lebens und verteilte die apokalyptische Flut so gleichmäßig über das Bild, dass sie wie ein ornamentales Muster die Fläche bedeckte. Den overkill brachte das 1979/80 geschaffene Gemälde "New York", eine 2,2 mal 1,6 Meter große Collage aus tausenden von Einzelelementen - vom Geldschein bis zur Freiheitsstatue, vom Wolkenkratzer bis zu Warhols Tomatendose -, an der sie 18 Monate lang malte, inklusive ungezählter Nächte, in denen der Albdruck sie des Schlafs beraubte. Ein Endpunkt war erreicht, ein Richtungswechsel unausweichlich, wenn es noch irgendwie weitergehen sollte.

In der Galerie Poll bleibt der Weg zu dieser Hypertrophie unberücksichtigt, und doch ist er fast unverzichtbar für das Verständnis des Kommenden. In den Neunzigern, dem Schwerpunkt der Ausstellung, wirkt Christa Dichgans geradezu geläutert, sind die Bilder malerischer, die Texturen offener und weniger bedrängend, und der manisch-obsessive Zug hat sich mehr zum Spielerischen, mitunter Humorvollen verlagert. Immer noch durchziehen Figuren und Gegenstände die Künstlerin, doch haben sie ihre bedrängende Präsenz verloren. Das "Herz im Schnee" (10 000 Mark) aus dem letzten Jahr ist übervoll von Gesichtern, die sich zu einer harmonischen Einheit fügen. Beim "Roten Wunderknäuel" von 1990 (31 000 Mark), einem riesigen Wollknäuel, angefüllt mit zahllosen Gegenständen des täglichen Bedarfs, weist das herabhängende Fadenende den Weg. Immer öfter treten nun auch Gestalten aus Geschichte und Kunstgeschichte auf, so bei dem Großformat "Götter, Heilige und Geister" von 1996/97, auf dem sich ein ganzes Pantheon in stiller Eintracht zusammenfindet (120 000 Mark).

Zitate, Topoi, Stereotypen: Sie haben sich in uns eingenistet, prägen unser Welt- und unser Selbstverständnis. Früher sah Christa Dichgans hierin ein Problem, das sie wieder und wieder gestaltete. Vor zwei Jahren jedoch malte sie den "Keil ins Jenseits", ein immer kleiner werdender, in die unendliche Tiefe des Raumes mündender Zug berühmter Bildfiguren aus abendländischer und außereuropäischer Kunstgeschichte. Wer genau hinschaut, entdeckt in der Phalanx auch die Eltern der Künstlerin. Aus dem Chaos der Bilder ist ein einheitlicher, ruhig dahinfließender Strom geworden. Seine Richtung ist klar, doch ein Ende bleibt nach wie vor unabsehbar.Galerie Poll, Lützowplatz 7, bis 10. Juni; Montag 10-13 Uhr, Dienstag bis Freitag 11-18.30 Uhr, Sonnabend 11-15 Uhr

Markus Krause

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