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Kultur: Eine Begegnung mit dem Münchner Musiker, DJ, Kritiker, Label-Chef und Fan Michael Reinboth

Der Titel klingt anmaßend: Nicht weniger als die Zukunft des Jazz verspricht die Plattenfirma Compost mit ihrer gleichnamigen Reihe. Sie löst dieses Versprechen ein.

Der Titel klingt anmaßend: Nicht weniger als die Zukunft des Jazz verspricht die Plattenfirma Compost mit ihrer gleichnamigen Reihe. Sie löst dieses Versprechen ein. Menschen, bei denen, eine Platte von Kruder & Dorfmeister im Regal steht, besitzen mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens auch ein Exemplar der "Future Sounds of Jazz". Die Platten sind Steady-Seller, seit Jahren von Musikliebhabern und Gelegenheitshörern gleichermaßen geschätzt. Nur: Mit dem landläufigen Verständnis von Jazz haben sie nicht viel zu tun. Sie swingen zwar, enthalten aber: Drum & Bass, House, Funk, Rare Groove - die ganze Palette zeitgemäßer Tanzflächenbeschallung.

"Es geht mehr um die Attitüde von Jazz", sagt Michael Reinboth, der Inhaber von Compost Records. "Die Freiheit, ungewöhnliche Sounds zu nehmen, zu schichten, zu verändern. Ich weiß nicht, was Miles Davis heute für Musik machen würde. Wahrscheinlich würde er lieber mit Carl Craig arbeiten als mit Wynton Marsalis." Will sagen: Er würde wohl eher mit einem in alle Richtungen offenen Techno-Produzenten nach Neuland suchen, als sich mit einem drögen Konservator der Tradition einlassen. Jazz hat in den letzten Jahren, wie alle Musikstile, kreative Impulse aus den Dancefloor-Bereichen erhalten und viele Produzenten haben sich im Fundus des Jazz bedient. Die Folge: inspirierte Neuschöpfungen, die von der Kraft der Dance-Beats leben, aber nicht von ihrem stupiden Gleichmaß dominiert werden. Tanz- und Hör-Musik gleichermaßen. So auch auf Compost Records, deren futuristische Jazz-Compilations ein Schaufenster sind für knapp 100 Produktionen, die der Kleinbetrieb seit 1993 veröffentlicht hat.

Der Netzwerker

Michael Reinboth nur den Inhaber zu nennen wäre eine starke Untertreibung. Er produziert Platten, schreibt Kritiken (unter anderem eine Kolumne in "JazzThing"), moderiert Radio-Sendungen, legt als DJ in seinem Club "Into Something" auf, betreibt einen Plattenladen und ist als Musiker mit seinem Trio Beanfield aktiv. Reinboths Leben ist lost in music. Aber ohne die oft damit verbundene Egomanie. Seine Radiosendungen übernehmen auch mal die Jungs aus dem Plattenladen. Reinboth ist Netzwerker. Und Dörfler. Wie viele schwärmt auch er von seinem Kiez, dem Müchner Glockenbach-Viertel: "Das Fauna-Flash-Studio ist um die Ecke, der Plattenladen, das Büro, der Grafiker, der die Covers macht. Bis vor einem Jahr habe ich die Firma sogar in meiner Wohnung gehabt." Compost ist für ihn eine Familie, in der "jeder gut leben soll, damit er alle Freiheiten hat, zu tun, was er will." Ein hehres Ideal, dessen Verwirklichung Reinboth und den Seinen geglückt scheint.

Zwischen 800 und 30 000 Stück bewegen sich die Auflagen. In diesem Spektrum ist auch Platz für scheinbar Unverkäufliches wie die "Glücklich"-Reihe des Brasil-Spezialisten Rainer Trüby, die brasilianische Anklänge im deutschen Fusion-Jazz der sechziger und siebziger Jahre dokumentierte. Bei allem Futurismus: In alten Platten nach unentdeckten Perlen zu forschen - das ist für die Compost-Clique ein bevorzugtes Vergnügen. Hier sind Fans am Werk.

Kinder des Dancefloor

Integre Haltung und kontinuierliche, nicht nach schnellem Profit schielende Arbeit hat Reinboth in den letzten Jahren auch bei denen Respekt verschafft, die ihn einst dafür belächelten, dass er als "Minister for Music and Nightlife" am Werbebudget eines Tabak-Konzerns partizipierte. So etwas kann einem Menschen lange anhängen. Aber heute muss man nicht mehr darüber reden. Die Kampagne ist auf dem Schrottplatz der Geschichte und Reinboth, der damalige Vinyl-Purist, hockt mit seinen Band-Kollegen von Beanfield vor dem Computer. "Wir könnten das auch alles live einspielen", sagen Reinboth und seine beiden Kollegen Jan Krause und Tobias Meggle. "Wir sind schon Kinder des Dancefloor". Aber mit einem Jazz-Gehör. Deshalb arbeiten sie an der Synthese aus handgemachten und programmierten Parts. Die Musik, die dabei entsteht, klingt trotz digitaler Produktion überraschend analog - und mündet mit süddeutscher Gelassenheit häufig in eine locker abgeklärte Glockenbach-Samba. "Jeder Drum-&-Bass geht auf brasilianische Musik zurück", sagt Reinboth. Also auf Rhythmen, die nicht im Gleichschritt marschieren, sondern von synkopischer Unruhe leben.

Und was bringt die Zukunft? "Die Zukunft", sagt Michael Reinboth, "wird breit." Und grinst entsprechend.Zuletzt erschienen: Beanfield: "Human Patterns". "The Future Sound Of Jazz Vol. 6".

Ralph Geisenhanslüke

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